Und immer wieder Liebe Roman
Berenson verbrannt und ihn gebeten, das mit den ihren auch zu tun. Eine unwürdige Tat. Briefe zu verbrennen, ist, wie Leben zu zerstören. Was mache ich also mit dieser Papierflut, die nach New York riecht? Ich laufe durch den metallenen Gang bis zum Postfach 1004 und grüße die Dame hinter der Scheibe, als wäre sie eine alte Freundin. Tatsächlich habe ich sie noch nie gesehen, denn Franca ist in Mutterschutz. Das ist auch besser so, denn sie hätte Fragen gestellt, hätte wissen wollen, warum ich die Briefe mitnehme, wo doch noch so viel Platz im Postfach und dieses manische Archiv der Gefühle so schön geordnet ist. Dreihundertsiebenundzwanzig Briefe sind es insgesamt. Ich öffne das Postfach, und da liegen sie und warten darauf, dass jemand sie fortträgt. Alice würde mich mit dieser Spinnerin Aleramo vergleichen. Und hätte vollkommen recht damit. Schnell stopfe ich sie in den Rucksack. Ich werde alle Zeit der
Welt haben, sie thematisch zu sortieren und einen Titel für das Ganze zu finden.
Ein Mann und eine Frau treffen sich nach dreißig Jahren wieder. Zu lang. Besser ein einfaches Begegnung , oder vielleicht Eine papierne Geschichte . Spröde Kapitel, kurze Titel. Mailand New York. Belle-Île. Sex (auch wenn wir uns hier schamhaft zurückgehalten haben). Erinnerungen. Romane. Morgan Library. Belle da Costa. Präferenzlisten. Schaufenster. Melancholie. Gras. Wellen. Klippen. Felsen. Menhire.
Und immer wieder Liebe...
Es scheint die übliche Mailänder Sonne, sie ist da, aber man sieht sie nicht. Nicht einmal das Fahrrad sieht man. Vielleicht ist es mir ja gestohlen worden? Ein Diebstahl hätte mir jetzt gerade noch gefehlt. Andererseits: Neues Leben, neues Fahrrad – immerhin besteht das Leben aus Symbolen. Mit der Straßenbahn fahre ich zum Corso Garibaldi. Dort erstehe ich ein erdbeerrotes Modell. Für das Zubehör gebe ich fast noch einmal so viel aus; dafür habe ich jetzt zwei mit Stoff bespannte Körbe, in die ich meine Einkäufe und mindestens zwanzig Bücher stopfen kann. Ich würde immer noch über die Ausgabe jammern, wenn die Buchhandlung nicht voller Kunden wäre. Ausgerechnet heute. Ausgerechnet jetzt. Wie kommt es, dass an einem beliebigen Junitag alle Leute das Bedürfnis verspüren, einen Liebesroman zu kaufen? Der Anblick einer Frau mittleren Alters, die auf ihrer Kasse herumtippt und heult, hat etwas Unwürdiges. Außerdem sind da noch Manuele und Alice, die es sofort bemerken würden. Also verschiebe ich die Heulerei auf den Abend und treffe mich lieber mit Gabri, die noch keine Details kennt. Selbst ihr gegenüber ist Federico kein Thema mehr, weil man sich sogar vor der eigenen Freundin schämt, von einer solchen Niederlage zu berichten. Ich telefoniere also mit Gabriella und bereite
das Schaufenster für die nächste Woche vor. Es steht unter dem Motto »Perfidie«. Selbige verbanne ich in eine Kiste und bespanne die vier Seiten mit schwarzem Samt. Links platziere ich einen roten Hocker, auf dem ich etliche Exemplare von Jahrmarkt der Eitelkeit aufstaple. Dann lege ich Jelineks Klavierspielerin dazu und grabe Rebecca wieder aus, und wo ich schon einmal dabei bin, auch gleich noch Nara, die kreolische Ballerina. Das ist meine Hommage an Carolina Invernizio, die kleinliche Kritiker zu den »minderbegabten« Schriftstellerinnen zählen. Tatsächlich ist sie ein Genie. Sie hat jedes Jahr drei Romane geschrieben, und das vierzig Jahre lang, eine ausufernde Produktion, von der ich dank Signora Donati lauter Erstausgaben habe, alle mit ausgesucht perfiden Titeln. Auf den Boden stelle ich ein Silbertablett mit einem Apfel, der von einem Dolch mit kostbar geschmücktem Griff durchbohrt wird. Schneewittchen und die böse Königin, die dieser zwergenausnutzende Jammerlappen voll und ganz verdient. Auf dem Samt liegen noch andere Bücher, daneben umgekippte Glasflakons, aus denen roter Lack fließt. Mittendrin ein Spiegel. Die Boshaftigkeit von Frauen hat viel mit Eitelkeit zu tun.
Mattia ist in seinem Zimmer. Nach dem grünlichen Licht zu urteilen, das unter der Tür hervordringt, sieht er fern.
»Hallo, Schatz. Wieso bist du denn zu Hause?«
Stille.
»Mattiiiiia! Deine Mama ist zurück.«
Es ist eine Unart, nicht zu antworten. Ärgerlich öffne ich seine Zimmertür, und ein scharfer Geruch steigt mir in die Nase. Er sitzt auf dem Boden, lehnt mit dem Rücken an der Wand, in seinen Ohren stecken wattestäbchenartige Stöpsel. Er starrt auf den Bildschirm, wo eine Gruppe Verrückter
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