Und immer wieder Liebe Roman
mir erklärt, bedeutet »dranbleiben« nicht, dass man sprichwörtlich an jemandem klebt, sondern dass es einem gutgeht, dass man sich geliebt fühlt, dass man sich in Gegenwart des anderen wohlfühlt oder, ganz banal, dass man mit dem anderen keinen Ärger hat. Apropos Beziehung: Mattia sagt auch nicht »Frau« oder »Mädchen«, sondern »Tussi«, was mir fast schon wie eine Beleidigung vorkommt.
Ich darf die Sache mit dem Internet nicht auf die leichte Schulter nehmen, denke ich, und muss Zugeständnisse an Alice machen. Die Vorstellung, dass die Buchhandlung eine Website bekommt, passt mir zwar überhaupt nicht, aber andererseits passt es mir auch nicht, wenn man mich für altmodisch hält. Alices Einladung in die neu eröffnete Sushi-Bar nahm ich also an. Vom Besitzer, einem waschechten Italiener, der mit einer Japanerin verheiratet ist, hatte Alice zwei Geschenkgutscheine für ein komplettes Menu bekommen. Ich hegte die Hoffnung, dass sie mir irgendetwas aus ihrem Liebesleben anvertrauen wollte. Alice hat keinen Freund – was, wie ich fürchte, auch an unseren Öffnungszeiten
liegen könnte. Dann kam es jedoch anders: Vor den winzigen Portionen, die wie Legosteine vor uns angeordnet waren, kam sie zum Punkt: »Die Kunden müssen der Buchhandlung schreiben können.«
»Warum sollten sie das tun?«, fragte ich zurück. »Wenn sie etwas kaufen wollen, kommen sie, und wenn sie ein bisschen quatschen wollen, gehen sie hoch. Ich hasse Computer, und das beruht vermutlich auf Gegenseitigkeit. Die Dinger senden andauernd irgendwelche unverständlichen, beunruhigenden Signale aus und peinigen einen mit absurden Fragen: Möchten Sie xyz wirklich in den Papierkorb verschieben? Verbinden? Trennen? Möchten Sie xyz speichern? Speichern ist eine Obsession, die den Fluss der Gedanken stört.«
»Du bist zu radikal, wie immer. Denk an die Vorteile: Wenn wir unser Sortiment online stellen, sind wir vielleicht bald in ganz Italien bekannt, vielleicht sogar im Ausland. Ein virtuelles Geschäft, das sich vollkommen am Original orientiert, kostet nicht viel. Das denkt sogar Alberto.«
»Seit wann verbündet ihr euch gegen mich?«
»Wir haben neulich abends darüber geredet. Er ist auf einen Sprung vorbeigekommen, als du im Sportstudio warst. Außerdem ist das kein Komplott – er ist nur einfach derselben Meinung wie ich.«
»Mach ich mich unmöglich, wenn ich um eine Gabel bitte? Diese Stäbchen gehen mir auf die Nerven, Alice.«
Bücher zu lesen und eine Buchhandlung zu eröffnen, ist zwar nicht der Königsweg, um Ruhe und Beschaulichkeit zu genießen, war bislang aber ein probates Mittel, um mich aus dem ganzen modernen Firlefanz heraushalten zu können. Und nun haben die beiden eüber meinen Kopf hinweg beschlossen, dass ich in einer Parallelwelt leben soll.
»Ich weiß nicht, ich muss darüber nachdenken. Kann man sich wohl an einem Sake betrinken, wenn man Abstinenzler ist?«
Die Vorstellung, dass Lust&Liebe auf einem Computerbildschirm landet, gefällt mir nicht. Ich würde mich irgendwie nackt fühlen. Und wenn ich meine Bücher online verkaufte, wie die beiden es wollen – würden sie nicht zu einer Art Geisterware? Grauenhaft.
New York, den 25. Oktober 2001
BBB, 41 E 11 th St
Liebe Emma,
das Leben kommt hier nur mühsam wieder in Gang. Im Büro spricht niemand darüber, aber Frank und die anderen denken an nichts anderes mehr. Jeden Kollegen scheint irgendetwas mit den Twin Towers zu verbinden: Freunde oder Freunde von Freunden, Erzählungen, wie der Vater sie als Kinder mit dorthin genommen hat und wie sie selbst ihre Kinder dorthin mitgenommen haben. Ich bin nie mit Sarah dort gewesen und fühle mich deshalb nicht ganz normal. Wir arbeiten zehn Stunden am Tag, als wollten wir dem, was wir tun, wieder einen Sinn verleihen.
Aber nun zu Dir. Ich denke, dass der Erfolg Deiner Buchhandlung mit der Architektur und der Urbanität der Städte zu tun hat. Lach nicht, sondern schau Dir diese Daten an: Im zwanzigsten Jahrhundert sind Megastädte entstanden wie Tokyo (ca. fünfunddreißig Millionen Einwohner), Säo Paulo (ca. neunzehn Millionen), Mexiko-Stadt (neunzehn Millionen); heutzutage wohnen 51% der Weltbevölkerung in Städten, sie leben auf 2 % der Erdoberfläche. Das ist das städtebauliche Pendant zur Gigantomanie der großen Buchhandelsketten, in denen Du Dich so eingeengt fühlst. Ein neuartiges Phänomen sind allerdings die Städte, die
sich um die Megastädte herum ansiedeln, denk nur an
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