Und immer wieder Liebe Roman
gehört, die unter dem Bann der drei »E«s steht: Effizienz, Exzess, Erschöpfung. Wir sitzen in der Luxusbar. Im Flügel der Galerie, der auf die Piazza
di Duomo hinausgeht, hat man aus Glas und Eisen eine Veranda errichtet und metallene Heizpilze aufgestellt. Ein Mann und eine Frau sehen sich innig in die Augen und verzehren dabei langsam ein Thunfischsandwich: ein schneller Imbiss in aller Heimlichkeit. Die Glücklichen.
Seit zwei Wochen habe ich Gabriella nun schon nicht mehr gesehen, aber unsere Unterhaltung tröpfelt trotzdem nur ziellos vor sich hin. Ich erzähle die neuesten Nachrichten von Mattia. Frage, wie es ihr bei der Arbeit ergeht, sage »Du Glückliche, als Lehrerin hast du jetzt drei Wochen Ferien«.
»Und der Freund in Amerika, schreibt er?«, fragt sie zurück.
Ein Wort ergibt das andere, so wie meine Minimozzarella auf kümmerliche Tomaten folgen. Gabriella hat ein »Tellerchen« (so steht es tatsächlich da) sepiafarbene Karotten mit gekochten Blumenkohlröschen von trauriger Gestalt bestellt. Der Kellner wird von seiner Fliege fast erwürgt und wirkt friedlich, obwohl sich die Menschen hier drängen – wo man hinsieht nur militärgrüne Lodenmäntel, graue Anzüge und gigantische Aktentaschen. Ich stelle mir vor, dass die Büros und Gerichte auf diesen Schreibkram warten, auf diese »Vorgänge«, um genau zu sein, ich denke an die Broker, die immer auf dem Sprung sind für das große Geschäft ihres Lebens. Weihnachten steht vor der Tür, gute Laune ist angesagt. Der Schnee lässt zwar noch auf sich warten, aber der Wetterbericht hat welchen versprochen.
Wir sitzen bereits eine halbe Stunde zusammen. Das »Tellerchen« trägt dem Kalorienwahn Rechnung, aber nicht dem Bedarf an Minuten, die unsere Verweildauer hier rechtfertigen. Deshalb bestellen wir einen Kaffee und trinken ihn in winzigen Schlucken. Was zählt, ist, dass wir uns wiedergetroffen haben. Mister Fliege kommt schon mit der Rechnung und nimmt sich nicht einmal Zeit für die Frage, wer zahlt. Stattdessen schaut
er uns scheel an und trommelt mit dem Kuli auf seinem Block herum.
»Der Rest ist für Sie«, sagen wir und schenken ihm ein Lächeln.
Von ihm – kommt nichts. Er fixiert uns. Das hat so gar nichts Galantes. Er möchte einfach nur, dass wir endlich aufstehen und gehen – dass wir den Platz räumen.
Ich werde langsam panisch. Gabriella ist meine beste Freundin, ohne sie bin ich verloren. Und ich muss unbedingt über Federico mit ihr sprechen. Mit Blicken versuche ich ihr das zu signalisieren. Fliege ignoriert meine Bemühungen und räumt stur den Tisch ab, während wir zu reden beginnen. Hier geht es nur um Konsum: Schlapper Mozzarella und verkorkste Karotten, schrumplige Brotfladen und kalter Cappuccino. Die Zeit ist gezählt, die Verweildauer beschränkt. Fliege wird langsam sauer. Seine Missbilligung wird bedrohlich und ist nunmehr unübersehbar. Seine Augen sagen: Verzieht euch endlich. Hier gibt es kein Erbarmen, und wir haben keine Zeit zu verschenken, damit ihr reden könnt. In Mailand läuft der Taxameter auch im Café. Ich sehne mich nach Federicos New York, nach den Orten des Friedens, von denen er schreibt, nach den Romanlesern im Central Park. Wie weit ist es mit uns gekommen, dass wir ins Café gehen, um zu reden, und wie Eindringlinge behandelt werden?
New York, den 15. Dezember 2002
42 W 10 th St
Liebe Emma,
es ist Sonntagvormittag. Das Licht, das durch das Wohnzimmerfenster dringt, ist milchig, was auf Schnee hoffen lässt. Die Wohnung ist sehr gemütlich __ in diesem Vorkriegsbau aus dunklem
Stein lebt es sich sehr gut. New York riecht nach Weihnachten, und wenn es Sarah nicht gäbe, die von einer Party zur nächsten rast, würde ich in Depressionen verfallen. Ich arbeite wie ein Wilder. Wenn ich nicht im Büro bin, laufe ich gern allein durch diese Stadt, die nie still ist und in der sich alle um mich herum zu amüsieren scheinen. Manhattan wird dieser Tage von Touristen überschwemmt, besonders im Bermudadreieck, wie der Platz zwischen den großen Kaufhäusern Sacks, Rockefeller und dem legendären Tiffany heißt. Und dementsprechend »feierlich« gestaltet sich auch die Atmosphäre: Weihnachtslieder, Festbeleuchtung und Konsum bis zum Abwinken. Wir Einheimischen meiden normalerweise derlei Orte mit ihren kilometerlangen Schlangen und suchen uns lieber kleine Oasen. Eigentlich sagt einem der gesunde Menschenverstand, dass es sich empfiehlt, die Straßen zwischen der Dreißigsten und
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