Und jede Nacht ist Halloween
niedergelassen hatte. Ich zerrte den Riemen enger und berührte die Stelle, an der er mich an der Schulter gebissen hatte. Ich stellte mir vor, ich könnte die Feuchtigkeit seines Mundes spüren. Ich checkte, daß die Verkäuferin mich nicht beobachtete. Dann zwang ich mich, aufzuhören, an Sex zu denken, und löste den Riemen.
Die Klamotten und Schuhe waren weiter hinten. Ich ging die Minis mit seitlichem Reißverschluß durch, die auf einem runden Gestell hingen, und nahm drei in unterschiedlichen Größen mit in einen Anproberaum. Bei Leder kann man ja nie wissen. Der Raum war ein völlig abgeschlossenes Kabuff. Auf einer gelben Wand war ein lebensgroßes Abbild von Marilyn Monroe im Evaskostüm. An der angrenzenden Wand war ein Spiegel. Der Designer, der den Laden entworfen hatte, hatte das wahrscheinlich dahin gesetzt, um masochistische Vergleiche zu ermöglichen. Ich zog meine Jeans und meine Doc Martens aus. Ich mochte es, wie meine Hüftknochen durch meine Unterhosen staksten. Strom mochte es wahrscheinlich auch.
Ich probierte den Mini in Größe M an. Ich konnte noch gut atmen, aber er war einen Tick kürzer als der von Flush. Wenn ich mich nach vorne bückte, konnte, wer immer das auch wollte, meinen Hintern bewundern. Ich hielt meinen Pullover hoch für die Profilansicht — meine größte Schwäche. Es gab da die Andeutung einer Wölbung um den Bauch herum, das war aber nichts, was nicht ein paar hundert Klappmesserübungen in den Griff kriegen konnten. Ich erinnerte mich daran, daß Typen ein bißchen Speck auf den Rippen ganz gerne sehen. Strom schien jedenfalls nichts dagegen gehabt zu haben. Ich zog meinen Pullover hoch, um nach Kratzspuren zu schauen. Es gab eine quer über meine Rippen. Ich ließ einen Finger darüber gleiten.
Die Tür der Kabine öffnete sich Zentimeter um Zentimeter. Ich zuckte zusammen und zerrte meinen Pullover wieder nach unten. Mit meinem bärbeißigsten New Yorker Knurren sagte ich: »Klopfen Sie eigentlich nicht an?« Aber es war nicht die Verkäuferin, die nur mal checken wollte, ob ich auch nichts klaute.
Gigantor, wogend und mit Halbglatze, schloß hinter sich die Tür. Er sagte: »Mach den Mund auf, und du bist zum letzten Mal laut gewesen, Schwester.« Er füllte den winzigen Raum aus, und plötzlich gab es keinen Platz zum Manövrieren mehr. Meine Handtasche, mit Mama drin, lag unerreichbar und nutzlos auf dem Boden.
»Guck doch in ein Biobuch, wenn du Titten sehen willst, Dicker.« Der Schlitten war mir also doch gefolgt. Ich verfluchte mich selbst dafür, daß ich nicht noch einmal nachgeschaut hatte.
Er hatte einen der Lederriemen, die ich gerade bewundert hatte, in jeder seiner tellergroßen Hände. Er grinste sadistisch und stürzte los. In peinlich kurzem Prozeß hatte er beide meiner Handgelenke um Kleiderhaken auf den gegenüberliegenden Seiten der Anprobierkabine gebunden. Ich mußte mich auf die Zehenspitzen stellen, um überhaupt hinlangen zu können. Seine Augen spazierten genüßlich auf mir herum. Es war genauso erniedrigend, wie berührt zu werden. Er sagte: »Bleib mal eben da.« Er warf seinen Kopf zurück, lachte und verabschiedete sich.
Entführung, kurz und knapp. Und ich hatte gedacht, ich hätte das für die Fastenzeit aufgegeben. Ich hatte mich gegen Gigantor aus einem Grund nicht gewehrt: Das Leben spielt manchmal gemeine Bälle, aber das heißt noch lange nicht, daß man auch unbedingt auf sie eindreschen muß. Dies hier war einer der Momente, in denen es besser ist, sich zurückzuhalten und einfach alles über sich ergehen zu lassen. Wenn man Glück hat, kriegt man irgendwann doch einen guten Ball hin. Ich hatte schon vor langer Zeit aufgehört, auf solche Spinballs einzubolzen. Ich war es irgendwann leid geworden, dem Untergang mit herumrudernden Armen entgegenzustürzen.
Es gab ein höfliches Klopfen an der Tür der Kabine.
Ich sagte fröhlich: »Herein, es ist offen.« Ich war nicht überrascht, den bärtigen Nick Vespucci in seinen seidenen Pyjamahosen hereinspazieren zu sehen. Gigantor drückte sich hinter ihm auch noch hinein. Sankt Nikolaus lächelte, wobei er seine spitzen Schneidezähne zur Geltung brachte. Der Geruch nach Knoblauch war noch stärker als vorher.
»Ich denke immer noch über Ihren Spitznamen nach«, sagte er sanft.
»Machen Sie sich nicht zuviel Mühe.«
»Tut mir fürchterlich leid, das Ganze«, sagte er, indem er auf meine Handgelenke zeigte. »Sie wissen ja, wie sehr ich Gewaltanwendung verabscheue, aber
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