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Und jede Nacht ist Halloween

Und jede Nacht ist Halloween

Titel: Und jede Nacht ist Halloween Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Valerie Frankel
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»Hoffentlich verschluckst du dich an ihnen.« Sie fischte zwischen den Pedalen nach ihnen herum, und ich machte die Biege.
    Das Schild an den schweren Glastüren des Lemon Tree gab die Besuchszeiten bekannt. Ich hatte noch ungefähr eine halbe Stunde Zeit und jede Menge zu tun. Ich beschloß, Flush Royale und die Möglichkeit, daß sie seinerzeit dort Püree ausgeteilt hatte, außer acht zu lassen. Saint Nick war lebendiger, und wenn das alles hier irgendwie logisch zusammenhing, würde seine Anwesenheit hier sowieso etwas mit Flush zu tun haben.
    Drinnen schwebten alte Leute und ihre Gerüche aufdringlich um mich herum. Ich hatte noch nie in meinem Leben so viele Strickjacken gesehen — offenbar ein wesentlicher Bestandteil der Kleiderordnung hier. Verwelkte Typen und Tanten waren in plüschige Cordsessel gepackt worden, die in keine besondere Richtung aufgestellt waren. Manche sahen auf den Fernseher in der Lobby, andere auf das Fenster nach draußen. Es schien niemanden besonders zu kümmern, was er anzusehen hatte, wenn diese Leute überhaupt noch sehen konnten. Reinigungspersonal in Weiß zog Schrubber mit Wischlappen hinter sich her, und süße Schwestern in bonbonfarbenen Outfits und Gesundheitsschuhen schoben Wägelchen mit Kartoffelpüree und Tabletts voller kleiner Medizinbecherchen. Ich dachte an meine Eltern in ihren Fünfzigern, die sich herrlich im sonnigen Miami zur Ruhe gesetzt hatten. Sie würden niemals einen Ort wie diesen auszuhalten haben, und das tröstete mich.
    Die blauhaarige Dame am Empfang sah aus wie Schwester Rabiata mit von Gammastrahlen frisierten Haaren. Sie fragte, wen ich besuchen wollte, und ich sagte, ich sollte hier meinen Großvater treffen. Sie fragte nach dem Namen, und ich sagte Nick Vespucci. Ihre harten Gesichtszüge schmolzen dahin, und sie kicherte wie eine jungfräuliche Debütantin. Sie sagte: »Ihr Großvater ist so ein netter Mann. Sie kleines Mädchen haben viel Glück.«
    »Mit Glück hat das nichts zu tun.«
    »Er kommt jeden Sonnabend, man kann seine Uhr danach stellen.«
    »Deswegen geht er dann nie ans Autotelefon.«
    »Er hat eine Riesenüberraschung für Sie.«
    »Ich liebe Überraschungen«, log ich.
    »Die Dame, um die es geht, ist im Zimmer am Ende des Ganges. Letzte Tür rechts. Erschrecken Sie nicht. Sie ist nicht ganz so verrückt, wie es den Anschein hat.«
    Ich dankte ihr und ging auf das Ende des Ganges zu. Gigantor lümmelte sich vor dem Zimmer herum und schnippte Streichholzheftchen in einen Hut.
    »Mehr aus dem Gelenk, Glatze«, schlug ich ihm vor.
    Er lächelte, als er mich sah. »Die Ziege mit der Wasserpistole«, sagte er. »Bist du süchtig nach Bestrafungen, oder was?«
    »Oder was«, sagte ich. Ich schob die Tür auf, ehe er mich aufhalten konnte. Er folgte mir nicht hinein. Vielleicht wurde ich doch erwartet.
    Nick saß auf einem Stuhl neben einem Grammophon. Er ließ ein dickes Stück Vinyl darauf fallen und senkte den Tonarm herab. Das Konzert erinnerte an Mondklänge, hatte einen mutigen Anstrich und klang mir vertraut — ein merkwürdiges Gefühl, da ich nie klassische Musik höre. Die alte Frau auf dem Bett räkelte sich lasziv, als die Musik Eingang in ihre müden Ohrgewinde fand. Sie hatte winzige Knochen, und irgendwann vor den Kreuzzügen war sie bestimmt einmal zum Anknabbern gewesen. Nick sah ihr zu, wie sie unter der Decke mit der Musik mitging, und ich fragte mich, ob er ihn wohl noch hochkriegte. Ich suchte seinen Schoß nach Leben ab und sah nichts. Die Nadel sprang, und er hob sie hoch. Der Körper der Frau hörte mitten in der Bewegung auf, und ihr Gesicht nahm die Lebendigkeit eines ausgebrannten Buick an. Als die Musik wieder anfing, verrenkte sie sich weiter gierig, wobei sie sich gegen das Kissen schob, das zwischen ihren Beinen verstaut worden war.
    Ich blieb von ihrem Anblick gefesselt stehen. Ich hatte ihr Gesicht schon einmal gesehen — in Flushs Medaillon. Auf ihrem Nachttisch stand das Foto eines Sechzehnjährigen. Er hielt einen Stock und einen Spalding-Gummiball. Das Gesicht hatte ich auch schon einmal gesehen.
    Nick sah erst auf, als er sein Jerky heruntergeschluckt hatte. Dann sagte er: »Wanda, meine Liebe. Was für eine nette Überraschung.«
    Ich sagte: »Dito.«
    »Ich würde Sie gerne meiner Verlobten vorstellen.« Die Tür öffnete sich einen Spalt, und Gigantor schaute hinein. Die alte Frau kreischte. Nick zischte: »Raus mit dir, du hirnlose Masse.« Gigantor duckte sich schnell wieder hinaus. »Sie

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