Und jeder tötet, was er liebt
keine Sorgen. Und wie läuft es bei dir?“
„Ich bin auf dem Weg zum Ehemann der Toten. Ich habe ein mulmiges Gefühl.“
„Vielleicht solltest du zwischendurch mal an deinen Magen denken. Du, ich muss auflegen, ich habe den Jungen versprochen, das Netzwerk zu installieren, wir sehen uns heute Abend. Ich freue mich auf dich.“
Als Anna Greve auf den Parkplatz der Bauunternehmung LÜBAU fuhr, entdeckte sie Weber im Schatten des Geschäftsgebäudes von Alfons Lüdersen. Das Haus konnte noch nicht alt sein, an ihm fanden sich die typischen Attribute moderner Architektur. Klare Linien mit viel Glas und Stahl.
„Die Büros sind im obersten Stockwerk. Insgesamt beschäftigt Lüdersen so um die hundert Mitarbeiter. Dreißig Angestellte arbeiten hier in der Verwaltung, die Gewerblichen finden wir auf seinem Bauhof in der Süderstraße.“
Anna steckte sich eine Zigarette an.
„Hab heute noch keine gehabt. Wer weiß, ob man da drinnen rauchen darf. Finden Sie nicht auch, dass sich Kuhn merkwürdig verhält?“
„Ist zumindest ungewöhnlich“, entgegnete Weber vorsichtig.
„Ich bin sicher, dass Lüdersen unseren Chef sofort nach dem Verschwinden seiner Frau um Hilfe gebeten hat. Ich würde das jedenfalls tun, wenn ich einen Bekannten bei der Polizei hätte. Warum hat er uns das nicht gesagt?“
Anna und Weber betraten das Vorzimmer der LÜBAU. Eine Sekretärin im Nadelstreifenkostüm führte sie ins Büro des Chefs.
„Herr Lüdersen befindet sich im Moment noch in einer wichtigen Besprechung, er kommt sofort.“
Anna Greve sah sich um. Große Fenster, die bis zum Boden reichten und einen wunderbaren Blick über die Dächer der Stadt gewährten, beherrschten das Büro. Die Einrichtung war in kühlen Grau- und Weißtönen gehalten, sie bestand vornehmlich aus Leder, Stahl und edlen Hölzern. Als einziger Schmuck hing ein großflächiges Ölgemälde an der Wand hinter Lüdersens Schreibtisch. Eine Vision des neuen Fußballstadions in Hamburg, im Vordergrund hatte sich der Bauunternehmer porträtieren lassen. Das Bild zeigte einen drahtigen, nicht sonderlich großen Mann mit kurz geschnittenem, graumeliertem Haar. Er strahlte Dynamik aus und wirkte jünger, als er wohl in Wirklichkeit war. So jedenfalls hatte der Künstler Alfons Lüdersen gesehen. Anna konnte ihm nur beipflichten, denn in diesem Moment betrat Lüdersen das Büro.
„Entschuldigen Sie die Verspätung. Sie sind von der Kriminalpolizei?“
Alfons Lüdersen trug einen grauen Maßanzug mit Einstecktuch und teure, italienische Schuhe. Anna sah betreten auf ihre ungeputzten Ballerinas und ärgerte sich, dass sie heute Morgen nicht mehr Wert auf ihre Kleidung gelegt hatte. Aber sie durfte sich davon jetzt nicht ablenken lassen, denn aus Erfahrung wusste die Kommissarin, wie wichtig es war, auf Zwischentöne zu achten. Zum Glück gab es auch noch Weber, der unbeeindruckt von Lüdersens Erscheinung neben ihr stand.
„Wir müssen Ihnen leider die traurige Mitteilung machen, dass Ihre Frau tot aufgefunden wurde“, begann er.
Alfons Lüdersen wurde bleich.
„Heute Nacht, im Traum, ist Esther mit mir am Meer spazieren gegangen. Sie war so real.“
„Ich bedaure, aber eine Verwechslung ist ausgeschlossen.“
Alfons Lüdersen sackte in sich zusammen.
„Würden Sie uns bitte begleiten, um Ihre Frau zu identifizieren? Das muss nicht gleich sein.“
„Nein, nein, es geht schon, ich komme.“
Lüdersen hielt den Arm von Weber, als wollte er sich an ihm festhalten, die Last dieses Augenblicks mit ihm teilen. Die beiden Männer registrierten Annas Anwesenheit nicht, und sie nutzte diesen Augenblick, um Lüdersen ungestört zu beobachten. Sie sah, dass er trauerte, doch irgendetwas stimmte nicht an diesem Bild. Es war einfach zu glatt, seine Worte zu flüssig herausgekommen. So, als habe er schon vorher gewusst, dass seine Frau tot war. Er könnte erpresst worden sein und versucht haben, die Sache ohne Polizei zu lösen. Auf jeden Fall verschwieg er etwas. So lange, bis er den Mund aufmachte, würden sie nach allen Seiten ermitteln. Wer hatte außer dem Ehemann noch alles eine enge Beziehung zu Esther Lüdersen gehabt? Am liebsten wäre Anna Greve sofort zurück ins Büro gefahren, um ihre Hausaufgaben zu machen, doch jetzt hatte die Rechtsmedizin Vorrang.
Alfons Lüdersen starrte Esther an. Dr. Severin hatte ein Fach der Kühlung aufgezogen, jetzt lag sie bleich und in Augenhöhe vor ihm. Lüdersen trat einen Schritt zurück, nickte. Plötzlich
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