Und jeder tötet, was er liebt
untersuchen. Jetzt hätte sie selbst gern eine Zigarette gehabt, deshalb öffnete Anna ihre Handtasche. Aus den Tiefen ihres großen roten Ungetüms lugte ein Durcheinander verschiedenster Dinge hervor. Gerade fiel Annas Blick auf eine entwertete Eintrittskarte für das Hittfelder Schwimmbad, aber leider waren keine Zigaretten darin. In der Küche von Olaf Maas lag ein zerknautschtes Päckchen Rothändle herum. Eigentlich war ihr diese Sorte widerlich, aber egal. Sie öffnete die Schachtel, doch statt der erhofften Zigaretten lagen nur drei zusammengefaltete Zettel darin. Anna vertiefte sich in die mit einem Computer geschriebenen DIN-A4-Seiten, es schien sich um irgendwelche Kostenaufstellungen zu handeln. Da waren zum Beispiel die Preise für einen Kubikmeter Beton verschiedenster Qualitäten abgedruckt. Wasserdicht, nicht wasserdicht, las Anna, Zementgehalt, Belastbarkeit für ein Gewicht von bis zu vier Tonnen pro Quadratmeter usw. Warum hatte Olaf Maas diese Listen aufbewahrt? Anna konnte sich kaum vorstellen, dass er vorgehabt haben sollte, ein Haus zu bauen. Sie gab die Seiten an einen Kollegen von der Spurensicherung weiter, anschließend nahm sie sie wieder an sich. Im Büro würde sie sich in Ruhe mit der Bedeutung dieses Fundes beschäftigen.
Der hohe Papierstapel auf dem Wohnzimmertisch bestand zum größten Teil aus alten Zeitungen. Drei Rechnungen und ein Schreiben vom Sozialamt hatten sie gefunden. Darüber hinaus gab es wenig Handschriftliches, nur ein paar lose Zettel, die wie Einkaufslisten aussahen. In der ganzen Wohnung stand nicht eine leere Wein- oder Schnapsflasche. Olaf Maas hatte die Trauer über den Tod von Esther Lüdersen anscheinend nicht wieder zum Trinken verführt. Doch irgendjemand wollte sie genau das glauben machen. Wer steckte dahinter und aus welchem Grund? Auf jeden Fall sah es ganz so aus, als wäre Olaf Maas der Wahrheit, worin auch immer sie bestand, zu nahe gekommen.
Unter einer zerknitterten Sonntagszeitung lag eine weitere von einem Computer ausgedruckte Seite. Es war die Kopie eines handgeschriebenen Briefes von Esther Lüdersen, adressiert an ihren Mann Alfons. Gespannt begann die Kommissarin, die Zeilen zu lesen.
„Ich habe nachgedacht, Michael. Was meinen Sie, wie lange werden die Formalitäten für die Auslieferung von Holger Maiwald dauern?“
Michael Antonowich zögerte. „Wir wollen Gregor Leskov endlich hinter Gitter bringen, und dieser Maiwald kann uns vielleicht dabei helfen. Sie haben die Erlaubnis, ihn in meiner Gegenwart zu verhören, Lukas, mitnehmen dürfen Sie ihn allerdings nicht.“
Normalerweise war Weber ein ausgeglichener Mann. Wenn doch nur endlich diese hämmernden Kopfschmerzen aufhörten.
„Dann lassen Sie uns endlich beginnen. Wir haben schon viel zu viel Zeit vertrödelt.“
Obwohl er müde aussah, wirkte Holger Maiwald nicht weniger gelassen als am Tag zuvor. Michael Antonowich berichtete Weber, dass Maiwalds Nachtruhe durch das Einschalten der Deckenbeleuchtung alle halbe Stunde und lautes Geschrei vor seiner Zellentür gestört worden war. Seine Mahlzeiten hatten aus trockenem Brot und einer wässrigen Suppe bestanden.
„Ich hoffe, Sie haben die Zeit zum Nachdenken genutzt.“
„Ich werde mich über die Haftbedingungen hier beschweren, wenn ich wieder zu Hause bin.“
Lukas Weber setzte sich Maiwald gegenüber.
„Wer hat Ihnen den Auftrag zum Mord an Esther Lüdersen gegeben?“
„Mein Job besteht darin, Menschen zu schützen. Ich habe es nicht nötig, mich auf so etwas einzulassen.“
„Wie würden Sie Ihre Beziehung zu Gregor Leskov beschreiben?“, warf Michael Antonowich ein. „Wir werden mit uns reden lassen, wenn Sie uns in diesem Punkt weiterhelfen. Falls nicht, kann es ziemlich eng für Sie werden. Wir haben Mittel und Wege, Sie zum Sprechen zu bringen.“
„Haben Sie diese unverschämte Drohung gehört, Herr Kommissar?“
Weber spürte, dass ein erster Riss in der Fassade von Holger Maiwald entstanden war. Michael Antonowich schien das auch bemerkt zu haben, denn er holte aus und schlug ihm mit der flachen Hand ins Gesicht. „Ende des Vorspiels, Freundchen“, sagte er und grinste ihn gehässig an. Bevor Maiwald etwas sagen konnte, landete die Rechte des Milizoffiziers erneut in seinem Gesicht, dieses Mal hatte er mit der Faust zugeschlagen. Weber sah irritiert aus dem Fenster. Sie waren an einer Grenze angekommen, das Misshandeln eines Verdächtigen gehörte eigentlich nicht zu Webers Verständnis von den
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