Und Jimmy ging zum Regenbogen
Sie?«
»Ich weiß, daß …« Der Fremde brach ab. »Geben Sie mir Feuer für meine Zigarette. Schnell!«
»Aber …«
»
Schnell!
Geht nicht jetzt. Später.«
Manuel riß ein Streichholz an, der Mann, der sich Enver Zagon nannte, neigte sich darüber, setzte eine Zigarette mit langem, breitgedrücktem Mundstück in Brand, verbeugte sich und ging zu seinem Sessel zurück, in dem er allein und abseits von den anderen gesessen hatte.
Manuel begriff nicht, was ihn plötzlich so in Angst versetzte. Er sah sehr unruhig durch die große Halle mit ihrem kunstvollen Holzmosaikboden, sah schon halb betrunkene Männer, die Mädchen in ihren Miedern, Höschen, Seidenstrümpfen, die Kellner in ihren schwarz-rot-weißen Uniformen, die nun mit Sektkübeln, Gläsern und Flaschen hin und her eilten, dann sah er sie, Nora Hill. Der kostbare Schmuck an ihrem kranken Körper blitzte, das silberne Kleid leuchtete rot, als sie mit schnellen, routinierten Bewegungen ihrer beiden Krücken auf ihn zukam.
Diese Krücken verursachten jetzt fast kein Geräusch. Nora Hill stützte sich mit aller Kraft auf sie, er konnte es an der Anspannung ihres glatten, so jung wirkenden Gesichts erkennen. Ohne diese Krücken vermochte sie offenbar keinen Schritt zu gehen. Dennoch brachte Nora Hill es fertig, zu lächeln. Sie zeigte blendend weiße Zähne.
»Ich freue mich, daß Sie gekommen sind, Herr Aranda.« Ihre akzentfreie Stimme, rauchig und tief, klang gleichmäßig und ruhig, keineswegs außer Atem. Er verneigte sich. Sie hob die Hand mit der Krücke so weit, daß seine Lippen ihre Haut berührten. Die Haut war kühl und trocken. Was für schöne Hände sie hat, dachte er. Und was für Augen. Schöne Augen, ja. Aber wieviel Menschenverachtung, Zynismus und Kälte spiegeln sich in diesen schönen Augen!
»Eigentlich erwartete ich Sie draußen im Salon.«
»Ja, aber …«
»Aber Sie sind ein sehr neugieriger junger Mann, nun ja. So haben Sie mich also gleich in Aktion gesehen … Dieser Mann, was wollte er von Ihnen?«
»Welcher Mann?«
»Herr Aranda, bitte!« Jetzt klang die Stimme metallen.
»Oh, der! Gar nichts. Er wünschte Feuer für seine Zigarette.«
»Er würde nicht dazu kommen, sehr viele andere Wünsche zu äußern.« Abrupt senkte Nora Hill die Stimme wieder, während sie mit einem plötzlichen Ausdruck des Ekels, den Manuel noch oft auf diesem schönen Gesicht sehen sollte, ihre Klienten betrachtete. »Schauen Sie sich das an. Männer! Geil sind sie jetzt und halb verrückt nach meinen Mädchen. So einfach geht das. Und dabei Theater, alles Theater.«
»Wie?«
»Yvonne hat nichts gespürt, nicht das geringste.«
»Aber die Peitsche …«
»Die Riemen sind aus weichem Nylon. Das tut nicht weh. Nicht die Spur. Haben Sie Striemen gesehen? Blut?«
»Nein …«
Ein Engländer, sehr betrunken, ein Mädchen im Arm, schwankte an ihnen vorbei.
»Come on, baby, now I’ll fuck you!«
»Sehen Sie? Es wirkt schon.« Nora Hills breite Lippen verzogen sich. »Jeder Mensch ist ein Sadist. Jeder! Sie. Ich. Wir alle. Man spielt uns etwas vor – wir reagieren. Nein, überhaupt nichts hat Yvonne gespürt. Und Sie – und die anderen – haben nichts gemerkt, gar nichts! Nicht, daß kein Blut floß, nicht, daß es keine Striemen gab! Was glauben Sie? Daß ich es mir leisten kann, eines meiner Mädchen wirklich auspeitschen zu lassen? Yvonne ist das beste Hühnchen hier. Die wird noch gebraucht heute abend. Wenn einer tatsächlich Blut sehen will – nun ja, kann er auch haben. Menschen – ah!«
»Sie verachten die Menschen?«
»Nicht einmal das mehr. Zu anstrengend. Es gibt nur zwei Arten von ihnen, wissen Sie, junger Mann: schlechte und dumme.« Sie lächelte wieder ihr strahlendes Lächeln. »Die schlechten«, sagte Nora Hill, »sind mir lieber.«
›Strangers in the night‹, sang Frank Sinatras Stimme aus verborgenen Lautsprechern.
»Gehen wir zu mir hinauf«, sagte Nora Hill. »Es wird ein längeres Gespräch werden.«
Damit schwang sie sich zwischen ihren Krückstöcken bereits schnell einer breiten Treppe entgegen, welche an der kreisrunden Innenwand empor zu einer Balustrade im ersten Stock führte. Manuel folgte ihr und mußte sich beeilen dabei, so schnell kam Nora Hill, an beiden Beinen gelähmt, vorwärts. Er drehte sich um und sah den hageren Mann, der ihn angesprochen hatte, in seinem Sessel. Der Mann mit den hohen Backenknochen blickte ihm tiefbesorgt nach.
29
»Schweine«, sagte Nora Hill.
Weitere Kostenlose Bücher