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Und Jimmy ging zum Regenbogen

Und Jimmy ging zum Regenbogen

Titel: Und Jimmy ging zum Regenbogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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Stimmen werden einander ähnlich. Es hat sich ein ganz bestimmter Rhythmus entwickelt. Sogar die Sprecher drüben selbst können nicht mehr genau sagen, wer da gerade redet. Stimmen kann man ohnedies schwer unterscheiden – und dann noch am Radio, mit den Störsendern dazwischen. Vielleicht hatte Frau Steinfeld auch schon manchmal Zweifel …«
    Ja, Zweifel hatte diese Frau manchmal gehabt – früher. Doch nun hörte sie die Stimme des geliebten Mannes, sie war da ganz sicher. Es bedeutete all ihr Glück, dieser Stimme zu lauschen.
    Das also ist das Glück, dachte Nora Hill. So kann man es auch definieren. Was für eine dreckige Welt. Und ich muß es ihr jetzt sagen. Schnell jetzt! »Ich habe eine Nachricht für Sie, Frau Steinfeld.«
    »Eine Nachricht?«
    »Als sie damals Ihren Mann zum Westbahnhof brachten, da war dort furchtbarer Lärm, nicht wahr?«
    »Ja …«
    »Eine Hitler-Rede. Ihr Mann schrie Ihnen noch etwas zu, aber Sie verstanden es nicht.«
    »Woher wissen Sie … ach so.«
    »Ihr Mann hat es meinem Freund erzählt. Der hat es mir erzählt. Ihr Mann schrie: ›Du mußt alles tun, alles, alles, alles, um den Buben zu schützen!‹«
    Valerie war hochgefahren. Ihr Gesicht wurde grau. Die Augen flackerten wieder.
    »Schützen?
Ist er denn in Gefahr, der Heinz?«
    »Ja«, sagte Nora. Ich muß nun brutal sein, dachte sie. Ich kann es ihr nicht ersparen. Deshalb bin ich ja hier. Ich kann nicht ewig darum herumreden.
    »Hören Sie, Fräulein Hill, der Bub ist alles, was ich habe! Wenn ihm etwas zustößt …«
    »Es stößt ihm nichts zu.«
    »Aber Sie sagen doch, er ist in Gefahr!«
    »In Gefahr, ja, das ist er. Aber es wird ihm nicht das geringste passieren, wenn Sie genau tun, was ich empfehle – was Ihr Mann empfiehlt. Es handelt sich um eine reine Vorsichtsmaßnahme.«
    »Was heißt Vorsichtsmaßnahme?«
    Nora sagte leise: »Frau Steinfeld, Ihr Mann ist doch Jude. Sie sind Arierin, wie man so sagt. Also ist Ihr Sohn ein sogenannter Mischling Ersten Grades.« Plötzlich trat Schweiß auf ihre Stirn.
    Jemand stand da draußen in dem dunklen Magazinraum.
    Er war ganz leise durch die Finsternis herangekommen und stand erst seit ein paar Sekunden da. Nora hatte ein überfeines Gehör. Sie vernahm kurzen, hastigen Atem.
    Von mir aus gesehen, steht er auf der rechten Seite des Eingangs in diese Kammer, also auf jener, die zu den Magazinen führt. Martin Landau ist im Laden, und der Laden liegt links. Ich habe den Eingang die ganze Zeit über nicht aus den Augen gelassen. Landau ist nicht vorübergegangen. Also kann es nicht Landau sein, der da jetzt auf der rechten, auf der Magazinseite steht und uns belauscht. Eine Falle, dachte Nora. Ich bin in eine Falle gelaufen. Wer immer da steht – er hat zumindest die letzten Sätze gehört, die wir gesprochen haben. Das genügt vollkommen. Es ist nicht die erste Falle, in die ich im Laufe meiner Karriere getappt bin, dachte Nora Hill – all dies und das Folgende in Sekundenschnelle –, aber dadurch wird die Sache nicht angenehmer. Nur bekannter. Ich weiß, wie ich mich zu verhalten habe. Sie bringen einem das Verhalten für solche Situationen bei der Ausbildung bei. In der Praxis erweist sich die Ausbildung dann meistens als kindisch. Man lernt nur durch Erfahrung. Wenn man nichts lernt, stirbt man. Ich lebe noch. Ich habe nicht die Absicht, mein Leben zu verlieren für die Familie Steinfeld, für irgendwen.
    Noras Stimmung schlug wieder um. Vorbei das Mitleid, die Sentimentalität. Eiskalt dachte und handelte sie nun. Sie hatte sich geräuschlos erhoben, sobald sie die ersten Atemzüge von draußen vernahm. Valerie starrte sie an. Was ist, wenn dieser Herr Landau mich in seiner maßlosen Angst verraten hat? dachte Nora. Wenn er die Polizei verständigt hat, die Gestapo? Wenn da draußen, rechts von mir, einen Meter entfernt, so ein Saukerl steht, entschlossen, mich zu verhaften, die Steinfeld zu verhaften. Ach was, die Steinfeld –
mich!
    Mich wird man nicht verhaften, wenn es mir gelingt, hier herauszukommen. Nur bis zu meinem Chef Carl Flemming muß ich es schaffen. Der ist wirklich ein hohes Tier, seine Schwester hat den Adjutanten Kaltenbrunners geheiratet, und Kaltenbrunner hat Flemming gern. Wenn ich bis zu Flemming komme, diesem elenden Hund, dann bin ich vor der Gestapo sicher. Ich werde rnatürlich niemals zugeben, daß ich in dieser Buchhandlung war, und wenn die Steinfeld und Herr Landau und der Gestapokerl es hundertmal beschwören. Wenn es

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