Und keiner wird dich kennen
schwarzen BMW hat er jedoch nicht hier abgestellt, sondern – das ist der Trick – auf der anderen Seite der Böschung, dort, wo der Straßenverkehr vorbeirauscht. Natürlich werden die Bullen den Supermarktparkplatz abriegeln. Doch sie können nicht wissen, dass er mit einer Heckenschere einen Fluchtweg durchs dichte Gestrüpp der Böschung vorbereitet hat. Innerhalb von Sekunden kann er durch diese Abkürzung schlüpfen und ist mit seinem Wagen innerhalb von einer Minute auf der Autobahn. Bevor sie überhaupt kapiert haben, was geschehen ist, ist er mit Lila schon weg.
Es ist sehr still, nur ein Geräusch stört – im leichten Wind schlagen Drähte, an denen Werbefahnen befestigt sind, an die metallenen Flaggenmasten. Kleng, kleng, kleng.
Vermutlich sind auch irgendwelche Polizisten vor Ort, aber er sieht sie nicht. Kann es sein, dass Lila tatsächlich allein gekommen ist? Zeit, das zu überprüfen, er zückt sein Handy. »Milan, siehst du andere Leute?« Sein Freund ist hergekommen, um ihn zu unterstützen. Vor ein paar Tagen hat Robert ihn darum gebeten, und Milan hat nur gesagt: »Hey, Mann, das geht klar.« Es ist gut, ihn hier zu haben.
»Ja, da sind ein paar Bullen, aber weit genug entfernt«, dringt jetzt seine Antwort aus dem Hörer. »Trotzdem besser, du hältst dich ran und erledigst das Ganze jetzt. Ich halte sie auf, wenn sie dir folgen wollen, das gibt dir ’nen größeren Vorsprung.«
Zum Glück ist auf Milan mehr Verlass als auf Frank, der damals das mit den Schüssen verpatzt hat!
Lila steigt aus, ruft »Robert?«, und er kommt zwischen den Containern hervor. Leider nicht ganz so lässig, wie er sich das gewünscht hätte, da er das Kind auf die Füße ziehen und voranschieben muss. Der Junge trägt keine Fußfesseln mehr, das wäre bei der Übergabe zu hinderlich, er will das Kind nicht auch noch tragen müssen.
Robert Barsch runzelt die Stirn, als er Lila mustert. »Was hast du mit deinen Locken gemacht?«, fragt er scharf. Sie zittert, amüsiert nimmt er es zur Kenntnis. Kaninchen und Fuchs!
»Abgeschnitten«, erwidert sie tonlos. »Ich hatte sie satt.«
»Wer hat dir das erlaubt?«
Doch Lila sieht ihn nicht an, sie hat nur Augen für den Kleinen. »Ich bin hier, Robert. Gib mir mein Kind – bitte! Elias, ich bin da, bald sind wir in Sicherheit ...«
»Mama, hilf mir!«, sagt der Kleine, weglaufen kann er nicht, Robert hält ihn zu fest.
Robert hat es nicht eilig, er genießt die Situation viel zu sehr. So lange hat er darauf gewartet, so furchtbar lange. »Wie schön, dich zu sehen, mein Schatz. Bestimmt hast du mich vermisst, was? Na, dann gehen wir mal. Wir machen einen Ausflug.«
»Nein«, sagt Lila schwach und schüttelt den Kopf.
»Wie bitte?« Wie von selbst ist das Messer in seine Hand gesprungen, es ist nur ein paar Zentimeter von der Kehle des Jungen entfernt. »Hast du etwa meine Bedingung vergessen? Wenn du deinen Sohn willst, musst du schon zu mir zurückkommen, mein Schatz. Also, HAST DU ... MICH ... VERMISST? «
Ihre Augen sind geweitet, ihr Blick haftet an der Klinge. Wahrscheinlich fragt sie sich jetzt, ob er das tun würde. Ob er wirklich imstande ist, dieses Kind zu töten. Er weiß es selbst nicht genau.
»Ja«, würgt Lila hervor.
»Bestens.« Er muss grinsen. »Dann komm mit. Einfach mir nach.«
»Werde ich tun«, sagt sie. »Aber vorher will ich Elias einen Kuss geben – dagegen hast du doch bestimmt nichts, oder?«
Na gut. Wenn sie dadurch endlich ihren Hintern bewegt. Allzu lange sollten sie sich hier nicht aufhalten, zu riskant. Hoffentlich behält Milan, sein Mann für alle Fälle, sein Schakal, die Bullen im Blick.
Lila kommt näher, Schritt für Schritt. Sie ist jetzt keine Armlänge mehr von ihm entfernt, und Robert senkt das Messer ein wenig, damit sie den Jungen küssen kann. Doch dann taumelt das Kind plötzlich zur Seite, Lila hat ihm keinen Kuss, sondern einen Schubs gegeben. »Lauf, Elias! Lauf!«, brüllt sie ihm zu, und dann durchzuckt Robert plötzlich ein scharfer, heißer Schmerz in der Leistengegend, unwillkürlich krümmt er sich. Diese Schlampe hat mich in die Eier getreten! Das wird sie mir büßen!
Noch immer tut es höllisch weh, aber die Wut peitscht ihn voran. Grimmig rennt Robert Lila nach, das Messer noch immer in der Hand. Die beiden versuchen davonzurennen, zu einem dieser Kunststoffhäuschen, in denen die Einkaufswagen bereitstehen. Aber sonderlich schnell sind sie nicht, das Kind humpelt. Gut, dass es so
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