Und keiner wird dich kennen
wert gewesen. Rasch scrollt er sich durch die Datei, in der alles protokolliert ist, was der Junge in den letzten zwölf Stunden im Netz getrieben hat. Jede Menge Mist dabei, hohler Facebook-Small-Talk; Bücherrecherchen bei einem Versender, bei dem der Junge dann doch nichts gekauft hat; hochgeladene Fotos; blödsinnige politische Diskussionen in Foren. Doch dann stößt er auf einen kurzen Chat-Austausch, der ihn elektrisiert.
FoxyT: Ich habe drüber nachgedacht. Bin jetzt auch dafür.
Shouter: yeaaah! :-)))))) bist du sicher?
FoxyT: Melde mich morgen tel. bei dir, ok?
Schon hat der Junge die Site wieder verlassen. Verdächtig, sehr verdächtig. Roberts Neugier ist geweckt. Wer verbirgt sich hinter diesem Namen? Ein Schulkamerad, mit dem er irgendetwas plant? Die Wahrscheinlichkeit ist leider groß, dass sie nur irgendeinen Blödsinn vorbereiten, wie Jugendliche das nun mal tun. Oder eine Party. Was auch immer. Aber es gibt auch die kleine, die sehr kleine Chance, dass sich hinter diesem Namen Lilas Tochter verbirgt. Dass sie wieder Kontakt haben.
Verdammt, wieso konnten sie die Details ihres Plans nicht über das Internet absprechen? Auch die neuesten Passwörter des Jungen hat Robert inzwischen geknackt, keine Mail entgeht ihm. Ein Handy abzuhören, ist komplizierter, das ist ihm bisher nicht gelungen.
Aber er wird schon rauskriegen, was hier läuft.
Der Countdown läuft. Nur noch zehn Tage bis zum Treffen mit Lorenzo. Es steht fest, dass er an einem Wochenende kommen wird, offiziell reist er zu einem Foto-Workshop in Bremen. Maja kann es kaum glauben, dass sie ihn bald sehen wird – wie lange ist es her, dass sie ihn zuletzt umarmt hat? Unendlich lange!
Stella und sie sitzen in einem Café, und es ist eine solche Erleichterung, offen reden zu können. »Opferschutzprogramm ... das Wort geht mir irgendwie nicht aus dem Kopf«, sagt Stella leise, so leise, dass niemand im halb leeren Café es mitbekommt. »Fühlst du dich wie ein Opfer?«
»Ich hasse dieses Wort«, stößt Maja hervor. »Es klingt so schwach und hilflos. So wie jemand, der nicht handeln kann, dem alle anderen antun, was sie wollen. So will ich nicht sein!«
»Bist du auch nicht.« Stella legt ihr beruhigend eine Hand auf den Arm. »Du ersäufst ja nicht in Selbstmitleid, sondern versuchst, dir wieder etwas aufzubauen.«
Maja nickt schweigend. Das ist lieb gemeint von Stella, aber stimmt das wirklich? Baue ich mir etwas auf – oder bin ich gerade dabei, etwas zu zerstören?
Schon spricht Stella weiter. »Du bist zwar ein Opfer, das ist einfach so, weil’s einen Täter gibt. Aber du hast dich nicht in einer Opferrolle eingerichtet, und das ist ein Unterschied, finde ich. Ein Riesenunterschied.«
»Jetzt klingst du fast wie dieser Psychologe vom Krisen-Interventionsteam«, brummt Maja und verdreht die Augen.
»Oh, danke.« Stella strahlt. »Habe ich dir schon gesagt, wie hoch mein Beratungshonorar ist?«
»Nö«, sagt Maja und fügt trocken hinzu: »Macht aber nichts. Mehr als drei Euro pro Stunde zahle ich sowieso nicht.«
Stella rümpft demonstrativ die Nase. »Pöh! Für Nachhilfe bekomme ich dreimal so viel! Also vergessen wir das. Dann sei halt ein Opfer.«
»Das wird sich machen lassen.« Maja grinst schief. »Aber in zehn Tagen bin ich zumindest ein sehr glückliches Opfer.«
»Wieso? Hast du ein Wochenende mit Orlando Bloom gewonnen?« Stella trinkt ihren Saft in einem Zug aus und wirkt, als hätte sie eigentlich lieber aus der Flasche getrunken, wie sie das meistens macht.
Maja zögert, doch dann gibt sie sich einen Ruck. Was für einen Sinn hätte es, ihr das zu verschweigen? Gar keinen. Stella weiß sowieso Bescheid. »Ich treffe mich mit meinem Freund Lorenzo, er kommt nach München.«
Doch Stella reagiert ganz anders, als Maja erwartet hat. Sie knallt ihr Glas hin und starrt Maja an. »Sag mal, bist du komplett durchgedreht?«, zischt sie leise. »Ich meine, ihr seid untergetaucht , das ist doch total gefährlich, dich mit jemandem aus deinem alten Leben zu treffen!«
»Er ist nicht jemand «, verteidigt sich Maja, etwas enttäuscht davon, dass Stella sie anscheinend nicht versteht. »Warst du etwa nie richtig verliebt? Weißt du nicht, wie das ist?«
Etwas geschieht in Stellas Gesicht, auf einmal ist ihr Ausdruck undurchdringlich. »Manchmal bringt es einem kein Glück, so richtig verliebt zu sein. Und hinterher fragt man sich, wie man so blöd sein konnte.«
»Sieh es, wie du willst«, sagt Maja ärgerlich
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