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Und kurz ist unser Leben

Und kurz ist unser Leben

Titel: Und kurz ist unser Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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gesagt.»
    «Warum das?», fragte Morse
matt.
    «Weil Sie viel Ruhe brauchen.
Sozusagen.»
    «Was soll dieses ständige
, Lewis?»
    «Seien Sie froh, dass ich nicht
gesagt habe.»
    «Wenn Sie Harrison heute ins
Präsidium bringen...»
    «Morgen, Sir.»
    «Bestimmt?»
    «Ganz bestimmt.»
    «...vergessen Sie nicht, dass
ich ihn vernehmen will.»
    Als Lewis sich umwandte, stand
Schwester Shelick hinter ihm, sah auf Morse hinunter, dem immer wieder die Augen
zufielen, und formte mit den Lippen ein lautloses «Bitte!».
    «Sekunde noch, Schwester.»
Lewis beugte sich vor. «Kann ich irgendwas für Sie tun, Sir?», flüsterte er.
    Morse hatte noch immer die
Augen geschlossen, konnte aber wieder zusammenhängend sprechen.
    «Ja. Zweite Schublade von unten
rechts. Eine Nummer in Carlisle. Schwester McQueen. Rufen Sie an. Aber nicht
heute. Morgen, wie Sie gesagt haben. Sagen Sie nur, dass ich...»
    Lewis wandte sich zum Gehen.
«Ich kümmere mich darum, Sir. Und halten Sie sich wacker. Versprochen?»
    Morse öffnete kurz die Augen.
«Das hat mein alter Vater auch immer gesagt.»
    «Und Sie richten sich danach?»
    Morse nickte langsam. «Ich
werde mir Mühe geben. Die größte Mühe, alter Freund.»
    Lewis kämpfte mit den Tränen,
als er die Station verließ, so dass er das leise «Auf Wiedersehen» von
Schwester Shelick überhörte.
     
     
     
     

Kapitel
75
     
    Der
Karren ist fast kaputtgefahren, und der holprige Weg ist beinah zu Ende.
    (Dickens, Bleakhaus)
     
    Dieser Tag sollte der längste
und mit der traurigste im Leben von Sergeant Lewis werden. Um halb sieben fuhr
er ins Präsidium und setzte sich still ins Büro von Morse, ohne auch nur einen
Gedanken an den Fall Harrison zu verschwenden. Um sieben rief er im Krankenhaus
an und erfuhr, der Zustand von Morse sei «kritisch, aber stabil», obgleich er
sich nicht recht vorstellen konnte, was das auf der Koronar-Richterskala
bedeutete.
    Strange, den man umgehend
informiert hatte, kam um acht, rief ebenfalls sofort das Krankenhaus an,
stellte ungehalten einige Fragen und bekam die gleiche Antwort wie Lewis.
«Kritisch, aber stabil.» Es werde getan, was menschenmöglich sei, erklärte man
ihm, an Besuche sei vorerst nicht zu denken, zunächst hätten weitere
Untersuchungen und Behandlungsmaßnahmen den Vorrang. Man habe die Telefonnummer
von Sergeant Lewis und würde sich melden, falls... falls es etwas Neues gab.
    Morse nahm das, was um ihn
herum vorging, recht bewusst wahr. Er war sich ziemlich sicher, dass er im
Sterben lag, und beschloss, dem Tod zumindest mit einem gewissen Maß an Würde,
wenn nicht mit Gleichmut gegenüberzutreten. Er hatte am Sterbebett seines alten
Vaters gesessen, der das Vaterunser hergesagt hatte, als sei es der Text einer
Versicherungspolice. Jetzt überlegte er, ob er im eigenen Interesse diesem
Beispiel folgen sollte. Doch wenn es dank eines verrückten Zufalls doch einen
Allmächtigen gab, würde der ohnehin Verständnis für ihn haben, und da es nach
Meinung von Chief Inspector Morse dieses höhere Wesen nicht gab, wäre so etwas
nur Kraftverschwendung, und er musste mit seinen Kräften haushalten. Nein, das
lange Tagewerk war fast vollbracht, und er musste schlafen.
     
    Nachmittags um halb zwei sah
der behandelnde Arzt auf den Schlafenden hinunter. Die eingehenden
Untersuchungen und Behandlungsversuche hatten keine positive Reaktion gebracht,
die diuretischen Maßnahmen, die das Wasser aus der Lunge abziehen sollten,
waren erfolglos gewesen, das EKG bot keinerlei Anlass zu Optimismus.
    Er setzte sich an den
Schreibtisch und notierte:
    «Klinische Hinweise auf
irreparable Schädigung des Herzens, Nierenversagen bereits nachweisbar. Ohne
ausdrücklichen Wunsch der nächsten Angehörigen Reanimation aus meiner Sicht
nicht angebracht.»
    Die Schwester trat neben ihn
und las, was er geschrieben hatte.
    «Wir können also nichts mehr
tun?»
    Der Arzt schüttelte den Kopf.
«Allenfalls um ein Wunder beten. Wenn er etwas haben will, geben Sie es ihm.»
    «Auch Whisky?»
    «Warum fragen Sie das?»
    «Weil er darum schon gebeten
hat.»
    «In der Krankenhausapotheke
haben wir den leider nicht vorrätig.»
    Als der Arzt gegangen war,
lächelte die Schwester leise vor sich hin, denn in der Nachttischschublade
lagen bereits zwei Miniflaschen Glenfiddich, und Morse hatte nur einen Besucher
gehabt.
     
    Maxine Ridgway saß vor einem
Café auf den Champs-Elysées und stieß mit Frank Harrison an. Das Mittagessen
war köstlich

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