Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Und kurz ist unser Leben

Und kurz ist unser Leben

Titel: Und kurz ist unser Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
Vom Netzwerk:
einer Situation, die
Schreckgespenster Tod und Terror im Nacken, sowieso kaum was runtergebracht
hätte. Als er wieder in seiner Zelle saß, brachte auch er nur einen Bissen
Bohnen herunter und schob dann den Teller weg. Er war nervös und zappelig,
obgleich er sich das nicht recht erklären konnte, denn schließlich erwartete er
ja nicht den Gefängnisdirektor, den Schreiberling vom Innenministerium, den
Gefängnispfarrer und den Henker. Ganz im Gegenteil. Heute, am Freitag, dem 24.
Juli, sollte er aus der Strafanstalt Bullingdon entlassen werden.
    Um 8 Uhr 35, noch in seiner Gefängniskleidung,
hörte er Schritte vor der Zelle, hörte, wie sein Name aufgerufen wurde, und
sprang auf. Er griff sich den Einkaufsbeutel, in dem er schon seine persönliche
Habe — ein abgenutztes Radio, ein paar Briefe in schmuddeligen Umschlägen und einen
zerlesenen «Sex-Western» — verstaut hatte. «Also dann — hoffentlich nicht auf
Wiedersehen, Sportsfreund», sagte einer der Vollzugsbeamten, als die Doppeltür
aufgeschlossen und Repp zum letzten Mal aus dem Flügel A hinausgeführt wurde.
    Um 8 Uhr 50 kam er, nachdem er
wieder in Zivilkleidung war, in eine Wartezelle mit Bänken an den Wänden, wo
bereits ein anderer Häftling saß, ein dünner Mann um die vierzig mit fahlem
Teint. Ihr Gespräch war kurz und undenkwürdig.
    «Bald sind wir raus aus der
Scheiße hier, Kumpel.»
    «Genau», sagte Repp.
    Um 9 Uhr 5 wurde erneut sein
Name aufgerufen, und er musste sich vor einem Schreibtisch aufbauen, wo er mit
Hilfe eines Mitarbeiters der Gefängnisverwaltung die für seine Entlassung
erforderlichen Formulare ausfüllte: Prüfung der Identität, Führung,
Gesundheitszustand, Bestimmungsort und Unterbringung. Repp kam sich ein
bisschen vor wie beim Check-in auf dem Flughafen, in Heathrow oder Gatwick —
mit dem Unterschied, dass es sich hier nicht um ein Check-in, sondern ein
Check-out handelte.
    Er unterschrieb, ohne recht
hinzusehen, mehrere Dokumente. Bei dem nächsten aber forderte ihn der Beamte
auf, einen Abschnitt laut vorzulesen: «Mir ist bekannt, dass mir der Besitz von
und der Umgang mit Feuerwaffen oder Munition nicht gestattet ist.» Unwichtig.
Höchstwahrscheinlich würde er die Knarre nicht brauchen, und außer ihm wusste
nur noch Debbie, wo sie war.
    Jetzt war es fast geschafft.
    Er nahm einen Schrieb entgegen,
der ihm gemäß den Strafrechtsbestimmungen zur Auflage machte, sich regelmäßig
beim Bewährungsdienst Oxford in der Park End Street zu melden. Dann füllte er
den Entlassungsschein aus und quittierte den Empfang einer Fahrtberechtigung
(Bullingdon— Oxford), seiner persönlichen Habe (wie aufgeführt), seines
persönlichen Bargelds (£ 24,50), des Entlassungsgeldes 45), der
Entlassungskleidung (angeboten, aber nicht abgefordert). Schließlich setzte er
noch seine vollständige Unterschrift, datiert und gegengezeichnet von dem
Verwaltungsbeamten, unter die unzweideutige Erklärung: ICH HABE KEINE
UNERLEDIGTEN BESCHWERDEN. Nein, Harry Repp hatte sich, zumindest in Bullingdon,
nicht beschweren können, wenn man davon absah, dass der Rest an Gutem, das noch
ihn ihm steckte, dort schnell dahingewelkt war.
    Sie führten ihn über den
Gefängnishof zum Tor, wo er dem Diensthabenden seinen Namen und seine
Häftlingsnummer zum Abhaken auf der Entlassungsliste nannte. Und das war’s. Das
schwere Flügeltor öffnete sich, und Harry verließ das Gefängnis als freier
Mann.
    Er warf einen Blick auf die Uhr
und blickte sich immer wieder wie suchend um, aber weit und breit war niemand
zu sehen. Nach dem Fahrplan, den man ihm ausgehändigt hatte, würde er auf den
nächsten Bus etwa zehn Minuten warten müssen. Langsam ging er den gepflasterten
Weg hinunter, der von der Zentralen Aufnahme zur Straße führte. Dort drehte er
sich um und sah noch einmal zu den Betonmauern hoch, die in Hellbeige mit einer
Spur von Rosa gehalten waren, und zu den Lichtmasten, die, in regelmäßigen
Abständen davor aufgereiht, kerzengerade in die Höhe strebten und sich nur ganz
oben dem Gefängnisbau zuneigten wie Gardisten, die mit gesenktem Kopf um einen
Katafalk herumstehen.
    Harry Repp drehte dem Gefängnis
jetzt endgültig den Rücken und ging, den Schritt beschleunigend, der
Bushaltestelle und der Freiheit entgegen.
     
     
     
     

Kapitel
17
     
    Was
rasselt da so hundsgemein?
    Könnt
dies ein Autobus nicht sein?
    Dies
grässlich Dröhnen und der Krach
    Zeigt
an beim Motor Ungemach.
    (Anonym)
     
    Sergeant Lewis hatte vom
Fenster

Weitere Kostenlose Bücher