Und kurz ist unser Leben
ich
ihm den Stempel zeigte, sagte er, der Brief könne trotzdem dort aufgegeben
worden sein, weil ein Teil der Post aus dieser Ecke der Cotswolds zum Stempeln
nach Oxford gebracht wird. Er ist also losgezogen, hat ein bisschen Kleinarbeit
gemacht und den Mann gefunden, der letzte Woche die Briefkästen geleert hat,
und der konnte sich an den Umschlag erinnern. An dem Tag waren nur drei Briefe
im Kasten gewesen, und einer war ihm — was wunder! — besonders aufgefallen. Das
hat Dixon nicht ruhen lassen, und er hat einen Test gemacht. Er hat einen
Umschlag an sich adressiert und ihn in Lower Swinstead in den Kasten gesteckt.»
Strange holte einen weißen
ungeöffneten Umschlag heraus und reichte ihn über den Schreibtisch. Er war mit
rotem Kugelschreiber adressiert an Sergeant Dixon, Polizeipräsidium Kidlington.
Auf der zinnfarbenen Briefmarke prangte der gleiche kreisrunde Stempel:
Nach einer auf Wirkung
zielenden kurzen Pause bemerkte Strange: «Vielleicht sollten Sie sich aufs
Krapfenessen verlegen, Morse.»
«Geht leider nicht. Wegen des
Zuckers.»
«Wollen Sie behaupten, dass in
Bier kein Zucker ist?»
Lewis machte sich auf eine halb
flapsige, halb vorgestanzte Antwort seines Chefs gefasst — etwa in dem Sinne,
dass er sich zum Ausgleich für seine Alkoholzufuhr entsprechende Insulinmengen
zuzuführen pflegte —, aber Morse sagte nichts, sondern saß nur da und starrte
auf das verschlungene Teppichmuster.
Strange war mit dem Thema noch
nicht fertig. «Irgendwann werden Sie vielleicht Ihre Meinung über Dixon doch
revidieren müssen.»
«Dann geben Sie doch ihm den
Fall. Wenn Sie immer noch entschlossen sind...»
«Das reicht, Morse. Denken Sie
daran, wen Sie vor sich haben. Ich will Ihnen genau sagen, warum ich den Fall
nicht diesem Trottel Dixon gebe. Weil ich ihn schon anderweitig vergeben habe.
An Sie und Lewis, falls Sie das vergessen hatten.»
«Lewis mag sich angesprochen
fühlen, ich nicht.»
Lewis, der diesem Wortwechsel
mit großem Unbehagen gefolgt war, sah, wie Strange die Röte ins Gesicht stieg
und er ein paarmal den Mund auf- und zumachte wie ein gestrandeter Goldfisch.
«Es dürfte Ihnen klar sein,
dass Sie in dieser Sache nicht viel ausrichten können, Chief Inspector. Ich
flehe Sie nicht an, eine Ermittlung für die Kriminalpolizei Thames Valley
durchzuführen, ich sage Ihnen als Ihr Vorgesetzter, dass ich Ihnen eine
bestimmte Aufgabe übertragen habe. Das genügt.»
«Nein, das genügt nicht.»
Sie redeten noch eine Weile hin
und her, dann verkündete Strange seine Entscheidung.
«Wenn das so ist, werde ich
wohl oder übel dem Polizeipräsidenten über dieses Gespräch berichten müssen.
Und was das bedeutet, wissen Sie.»
Morse erhob sich langsam und
winkte Lewis, ihm zu folgen. «Ich glaube nicht, dass Sie über dieses Gespräch
dem Polizeipräsidenten berichten werden. Und auch nicht seinem Stellvertreter
oder sonstwem. Habe ich Recht, Chief Superintendent Strange?»
Kapitel
16
Die
ärgsten Taten wie giftiges Kraut
im
Gefängnishof prächtig blühen,
doch
welkt dahin fast ohne Laut
das
Gute im menschlichen Mühen.
Bleiche
Qual auf die schwere Pforte verweist,
Verzweiflung
der grimme Wärter heißt.
(Oscar
Wilde, Die Ballade vom Zuchthaus zu Reading)
Es war noch nicht lange her, da
hatte Harry Repp das Wort «Porridge» nur mit einer Comedy-Serie im Fernsehen in
Verbindung gebracht und nicht mit einer Pampe aus Hafermehl und heißem Wasser.
So weit er zurückdenken konnte, hatte es für ihn zum Frühstück immer Cornflakes
mit Milch gegeben, und zwar (je dicker sein Bierbauch wurde) erst mit
Vollmilch, dann mit fettarmer und zum Schluss mit der blässlichen entrahmten
Milch. «Solange du dich jeden Abend voll laufen lässt, kriegst du eben Milch,
in der wenig Fett ist, klar?», hatte seine Lebensgefährtin Debbie erklärt. Da
war nichts zu machen. Erst vor einem Jahr hatte er begriffen, wie passend der
Titel der Comedy war, denn Porridge (manchmal in nur lauwarmem Wasser angerührt
und mit Klümpchen versetzt) war das Standardfrühstück für Knackis.
Normalerweise hätte sich Repp
brav seinen Schlag geben lassen, heute aber hatte er, als er mit den anderen
Häftlingen aus dem Flügel A früh um acht an der Essensausgabe Schlange stand,
nur um zwei Würstchen und einen Löffel Bohnen mit Tomatensoße gebeten. Er hatte
gelesen, dass man den Insassen der Todeszellen zum Frühstück immer das gab, was
sie haben wollten, und sich gedacht, dass er in so
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