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Und kurz ist unser Leben

Und kurz ist unser Leben

Titel: Und kurz ist unser Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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bekleckert.»
    «Weiß Gott nicht.»
    «Wenn wir nur wüssten, wer an
dem Abend Frank Harrison in London angerufen hat.»
    «Eins seiner Kinder, der
Maurer, der Einbrecher, der Liebhaber, der Kerzenzieher. Ich weiß es auch
nicht, Lewis. Nur geht mich im Gegensatz zu Ihnen der Fall ja nichts an.»
    Lewis sah Morse scharf an.
«Aber ich habe den Eindruck, dass er Sie interessiert.»
    Morse stand auf. «Nehmen Sie
mich zu Oddbin’s mit? Mir ist der Glenfiddich ausgegangen.»
    Sie waren schon im Gehen, als
das Telefon läutete.
    «Morse?» Unverkennbar die
Stimme von Strange.
    «Ja, bitte?»
    «Hören Sie sich das an!»
    «Ich nicht, Sir. Zufällig ist
Sergeant Lewis gerade...»
    «MORSE!»
    Aber schon war der Hörer
weitergereicht worden, und Morse ging, obgleich er die Explosionen am anderen
Ende der Leitung sehr wohl wahrnahm, über den Gang zur Toilette.
    Als er zurückkam, war das
Gespräch beendet.
    «Sie haben eine Leiche
gefunden. Draußen in Sutton Courtenay.»
    «Hab ich’s nicht gesagt?»
    «Nein, eben nicht. Sie haben den Leuten dort gesagt, dass die Sache erledigt ist. Ich hab ihnen
gesagt, sie sollten die Augen aufhalten.»
    «Gratuliere. Sie hatten Recht,
und ich hatte Unrecht. Dass Repps wohlverdiente Strafe allmählich fällig war,
habe ich mir zwar gedacht, und wahrscheinlich hat er es sich auch gedacht, aber
ich habe den Gedanken nicht zu Ende geführt. Sein Brief aus dem Knast war eine
Art Hilferuf, eine Bitte, ihn im Auge zu behalten. Und das haben wir ja dann
auch getan. Oder auch nicht.»
    Unvermittelt massierte er sich
mit der rechten Hand kräftig die Brust.
    «Alles in Ordnung?»
    «Bisschen Sodbrennen.»
    «Bestimmt nichts anderes?»
    «Sie haben also die Leiche
gefunden.»
    «Vor einer halben Stunde.»
    «Na, dann machen Sie sich mal
auf den Weg.»
    «Kommen Sie mit?»
    «Danke bestens! Der Mann
interessiert mich nicht mehr. Er war ein kleiner Gauner, Teilzeiteinbrecher und
alles in allem sehr unerfreulicher Zeitgenosse, den wir uns schon längst hätten
schnappen müssen. Wir können froh sein, dass wir Harry Repp los sind.»

Kapitel
27
     
    Sie
kamen nachmittags zu einem Land,
    In
dem es Nachmittag zu sein stets schien,
    Der
matte Küstenwind schwand mählich hin,
    Atmend
gleich einem, den ein Traum erschöpfte.
    (Tennyson, Die Lotosesser)
     
    Morse erstand, nachdem ihn ein
erwartungsvoller Lewis bei Oddbin’s abgesetzt hatte, zwei Flaschen Glenfiddich
(«Kaufen Sie zwei und sparen Sie £ 4!») und setzte dann seinen Weg über die
Geschäftsstraße von Summerton fort. Im Drogeriemarkt Boots kaufte er zwei große
Schachteln (insgesamt sechzig Tabletten) Alka-Seltzer und zwei Packungen
(insgesamt sechzig Tabletten) BiSoDol Extrastark und hoffte inständig, dass ihm
diese geballte Ladung über die nächsten vierzehn Tage hinweghelfen würde. Sein
saurer Magen und das Sodbrennen wurden immer schlimmer. Die Beschwerden lagen
in der Familie, aber es war nur ein geringer Trost, dass sein Vater und sein
Großvater väterlicherseits Qualen durch ihre Hiatushernie ausgestanden hatten,
ein Leiden, das vielleicht nicht lebensbedrohend, wohl aber sehr viel
schmerzhafter war, als es klang. Wiederholt hatte ihm sein Hausarzt eine sehr
simple Therapie angeraten: «Hören Sie einfach auf zu saufen!» Hin und wieder
hatte Morse diesen Ratschlag sogar mehrere Tage hindurch beherzigt, sich bei
Verschwinden der Symptome aber gesagt, damit sei wohl eine Heilung auf Dauer
erfolgt, sodass er es verantworten könne, in seine früheren Gewohnheiten
zurückzufallen.
    Bald würde er einen neuen
Anlauf machen.
    Aber nicht heute.
    Er ging über die South Parade
zur Woodstock Road, bog rechts ab und betrat das Woodstock Arms, dessen
Wirt zu recht stolz auf sein Morrell’s Bitter war, dem Morse an diesem
Samstagmittag reichlich zusprach. Die gedruckte Speisekarte und die auf der
Schiefertafel angepriesenen Tagesspezialitäten, die für viele Gäste eine arge
Versuchung gewesen wären, konnten Morse nicht reizen. Seit zwei Jahrzehnten
nahm er mittags seinen Kalorienbedarf fast ausschließlich in flüssiger Form zu
sich, und daran hielt er sich auch heute. Die meisten Stammgäste kannte er
zumindest vom Sehen, aber nachdem er ein paar Mal flüchtig in die eine oder
andere Richtung genickt hatte, setzte er sich allein auf eine Wandbank in der
Ecke. Er hatte vielerlei zu bedenken.
    Sein Instinkt (oder das, was er
bei sich so nannte) hatte ihm von Anfang an gesagt, dass Harry Repp in dem
Moment, als er Bullingdon

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