Und kurz ist unser Leben
Lewis beschloss nach einem kurzen Blick auf das Beweisstück dennoch,
das eigentlich Offenkundige auszusprechen.
«Da werden wir heute nicht viel
Glück haben. Am Samstag sind die Banken geschlossen.»
«Na, erlauben Sie mal! Wenn wir
es geschafft haben, Menschen auf den Mond zu schießen, werden Sie mir doch
nicht erzählen wollen, dass wir eine Kreditkartennummer nicht ermitteln können,
nur weil heute ein gottverdammter Samstag ist?»
Morse hatte sich nicht an dem
Gespräch beteiligt und schwieg auch jetzt, in Gedanken dem Feld um Meilen
voraus. Lewis hatte es nach diesem vernichtenden Rüffel ebenfalls die Sprache
verschlagen. Er hielt die Quittung umklammert wie ein kleiner Zocker seinen
Wettschein, der ihm einen ansehnlichen Gewinn zu bringen verspricht.
Schließlich war es dann Strange, der das Schweigen brach.
«Sie transportieren ihn gerade
ab?», fragte er die Pathologin.
«Ja.»
«Schön, dann teilen Sie uns —
oder vielmehr Chief Inspector Morse — schnellstmöglich mit, was Sie
herausgefunden haben.»
«Selbstverständlich.»
Alle Beteiligten erhoben sich,
und die Aktion Sutton Courtenay schien abgeschlossen, war es aber noch nicht.
Noch nicht ganz.
Der kurze, aber entscheidende
Beitrag zu den Entwicklungen dieses Nachmittages ging auf das Konto von Morse.
«Ich denke, Sie sollten ihn
sich mal ansehen, Sir.»
«Ich kann mich für Leichen
ebenso wenig begeistern wie Sie, Morse.»
«Ich weiß, aber...»
«Aber was?»
«Aber Sie sollten ihn sich
trotzdem ansehen», sagte Morse leise und mit Nachdruck. «Ich halte es für
durchaus möglich, dass Sie ihn erkennen.»
Später erinnerte sich Sergeant
Lewis häufig an jenen Nachmittag auf der Müllkippe in Oxfordshire, als Chief
Superintendent Strange in das blutlose Gesicht eines Toten gesehen hatte und
auch aus seinen frischen Wangen alles Blut gewichen war.
«Verdammte Scheiße! Ich habe
den Mann gekannt, Morse! Ich habe ihn zweimal im Fall Harrison vernommen.»
Als die hohen Tiere abgezogen
waren, wagte sich Eddie Andrews wieder in das leere Büro, schaltete den
Fernseher ein, suchte sich im Teletext das Sachgebiet Sport (Cricket) und
stellte mit stiller Genugtuung fest, dass Northamptonshire sich an diesem Tag
sehr ordentlich schlug.
Kapitel
29
KALIF:
Wie sollen wir nun die Zeit bis zu unserer Befreiung hinbringen?
JAFAR:
Ich werde über die Wechselfälle des menschlichen Schicksals meditieren.
MASRUR:
Und ich werde mein Schwert am Schenkel schärfen.
HASSAN:
Und ich werde das Muster dieses Teppichs studieren.
KALIF:
Hassan, ich schließe mich an: Ihr seid ein Mann von Geschmack.
(James
Elroy Flecker, Hassan)
Mit großer Geduld — falsch, mit
großer Ungeduld! — hatte Constable Kershaw darauf gewartet, dass sein Fahrgast
aus den Beratungen hinter verschlossener Tür wieder zum Vorschein kam. Er hatte
sich wie ein romantischer Teenager auf sein erstes Rendezvous mit Susan Ho
gefreut, einer bezaubernden Chinesin mit zarten Zügen, die am Fachbereich
Kriminologie der Universität Oxford tätig war. Zwar hatte er ihr noch Bescheid
sagen können, nachdem Morse ihn zu sich beordert hatte, aber
verständlicherweise hatte die Nachricht sie nicht gerade beglückt.
Als er Morse kommen sah, machte
er die Beifahrertür auf.
«Schon gut, Kershaw. Sergeant
Lewis bringt mich nach Oxford zurück.»
«Soll das heißen...»
«...dass Sie sich verziehen
können, jawohl.»
«Hätten Sie mir das nicht
früher sagen können, Sir? Ich...»
Er verstummte, als er die
blauen Augen in eisiger Verständnislosigkeit auf sich gerichtet sah.
Lewis legte schief grinsend den
Gang ein. «So schlecht haben Sie nicht mal mich behandelt.»
«Unverschämter junger Schnösel.
Und so was schimpft sich Akademiker.»
«Was will der eigentlich bei
uns?»
«Keine Ahnung. Wahrscheinlich
soll er lernen, wie man Tee brüht.»
«Damit hab ich auch
angefangen.»
«Hoffentlich stellt er sich
besser an als Sie.»
«Wird es nicht langsam Zeit,
dass Sie mir...»
«Das darf ja nicht wahr sein!»
Morse griff nach der Kassette, die in dem Fach neben dem Schalthebel lag, schob
sie in den Recorder und ließ sich selig lächelnd in seinen Sitz zurücksinken.
«Stellen Sie fest, wer diesen
Wagen sonst fährt, Lewis. Er ist ein Mann nach meinem Herzen. Ich wusste gar
nicht, dass wir so kunstsinnige Kollegen haben.»
Lewis machte den Mund auf,
machte ihn wieder zu und hörte sich, während er unter fröhlicher Missachtung
des Tempolimits über die A34 nach Oxford
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