Und kurz ist unser Leben
taubstumme Nymphomanin mit dem Zimmer gleich
über der Wirtsstube, von der so viele Männer träumen. Sie war hochintelligent
und sehr begehrenswert — etwa so wie die Frau mit dem Augenaufschlag> in dem Larkin-Gedicht — und fühlte sich ihrerseits zu den
verschiedensten Männern hingezogen. Zu einer Vielzahl von Männern. Es konnte
deshalb nicht ausbleiben, dass ihr im Lauf der Jahre auch zahlende Kunden über
den Weg liefen, die ausgefallene Vorlieben hatten. Dass sie S/M praktizierte,
glaube ich nicht, aber es sieht so aus, als ob sie gegen einen stattlichen
Zuschlag auch Fesselung als Service angeboten hat. Bekanntlich können sich
manche Männer nur bei solchen Frauen sexuell befriedigen, die sich unterwürfig
und hilflos geben. Dass das Objekt ihrer Begierde wehrlos, reglos, manchmal
auch sprachlos daliegt, vermittelt diesen Männern ein Machtgefühl, wie sie es
sonst nie im Leben erfahren würden. Kommt gar nicht mal so selten vor, Lewis,
Sie können es in den Fallstudien von Kraft-Ebing nachlesen...»
(Die Augenbrauen von Sergeant
Lewis hoben sich merklich.)
«...obgleich ich auf diesem
Gebiet bekanntlich kein Fachmann bin. Genau genommen weiß ich nicht mal mehr,
ob er sich mit einem, oder mit zwei b schreibt. Aber damit hätten wir eine
recht nahe liegende Erklärung für zwei Gegenstände, an denen unsere Kollegen
damals herumgerätselt haben — für die Handschellen und den nicht sehr fest
gebundenen Knebel. Eine Frau, die so einen Sonderservice bietet, wird Ihnen nie
Kontra geben, Ihnen nie die Augen auskratzen, und Yvonne Harrison hatte die
längsten Fingernägel, die...»
(Die Augenbrauen von Sergeant
Lewis hoben sich gewaltig.)
«In der Nacht, in der sie
ermordet wurde, lag sie mit einem Kunden im Bett, und wenn es je einen locus
classicus für den so genannten coitus interruptus gab, dann in
diesem Fall, denn jemand hat die beiden rüde bei ihrem Tun unterbrochen. Oder
zumindest hat sie jemand zusammen im Bett gesehen.»
«Harry Repp?»
«Irgendwann, soviel steht fest,
war Repp am Tatort. Aber ich glaube, dass er in der bewussten Nacht die Nerven behalten
hat und mit Bedacht auf Abstand gegangen ist. Wahrscheinlich hat er sich
gesagt, dass es sich für ihn lohnen könnte. Womit er natürlich Recht hatte.
Denn das, was er in jener Nacht sah und später der Polizei verschwieg, sollte
für ihn, wie Sie ermittelt haben, Lewis, zu einem einträglichen Geschäft
werden. Fünfhundert Pfund pro Monat nur dafür, sich unsichtbar zu machen und
die Augen offen zu halten — Fähigkeiten, die er als Einbrecherprofi aus dem
Effeff beherrschte. Was er gesehen hat, können wir nicht wissen, sofern er es
nicht Debbie Richardson erzählt hat, und das möchte ich bezweifeln.»
«Und was hat er Ihrer Meinung
nach gesehen?»
«Ist das so schwer zu erraten?»
«Sie meinen, er hat gesehen,
wer Mrs. Harrison umgebracht hat?»
Morse nickte.
«Und Sie glauben zu wissen,
wer...?»
Morse nickte.
Aber Lewis schüttelte den Kopf.
«Das ist mir zu unscharf, Sir. Wann ist sie ermordet worden? Wer hat ihren Mann angerufen? Wer hat die Alarmanlage ausgelöst? Wer ...»
«Vergessen Sie bitte nicht,
Lewis, dass wir in einem anderen Fall ermitteln. Wenn uns aber eine Betrachtung
des ersten bei der Lösung des zweiten Falles weiterhilft — sei’s drum! Ich
denke, da werden Sie mir Recht geben.»
«Ach ja?»
Morse nickte wieder. «Drei
Menschen wurden in jener Nacht zufällig in ein geschicktes und für sie
einträgliches Täuschungsmanöver verwickelt, und alle drei waren bereit und
willens, der Polizei so viele Knüppel wie nur möglich zwischen die Beine zu
werfen. Da war zunächst Flynn, unser corpus primum, der gelogen hat,
dass sich die Balken bogen — sowohl was die Uhrzeit betraf, zu der er Frank
Harrison in Oxford am Bahnhof aufgenommen haben will, als auch im Hinblick auf
das, was oder vielmehr wen er sah, als er nach Lower Swinstead kam. Zum zweiten
war da Repp, unser corpus secundum, von dem wir nur deshalb keine Lügen
zu hören bekamen, weil er uns überhaupt nichts gesagt hat. Drittens...»
Morse zögerte, und Lewis sah
ihn über den Schreibtisch hinweg erwartungsvoll an.
«Unser dritter Mann dürfte kaum
unser corpus tertium werden. Sie — Repp, Flynn und dieser dritte Mann —
hatten verabredet, sich unmittelbar nach Repps Entlassung zu treffen. Bis dahin
hatten sie an ihrer Verschwörung des Schweigens nicht schlecht verdient, jetzt
waren alle wild entschlossen, die Kuh
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