Und manche liebe Schatten steigen auf
Talent waren die allsonntäglichen musikalischen Aufführungen im Elternhause, bei welchen sogar ein kleines Orchester tätig war. Dadurch wurde dem jugendlichen Komponisten Gelegenheit geboten, seine eigenen Orchesterkompositionen zu Gehör zu bringen und sich über die Wirkung derselben klar zu werden. Von seinen allerbesten Werken ist unseres Wissens nie etwas veröffentlicht worden, dagegen hat man eine im Jahre 1821 geschriebene Klaviersonate in G-moll nach seinem Tode als op. 105 (!) ediert, gewiss nicht im Sinne des Komponisten, welcher hinsichtlich der Veröffentlichung seiner Werke sehr wählerisch war und selbst seine A-Dur Symphonie ( die sogenannte italienische) der Welt ursprünglich vorenthalten hat. Immerhin kann man aus dieser Sonate die Frühreife des Zwölfjährigen erkennen, denn das ziemlich breit angelegte Werk ist mit sicherer Hand entworfen, durchweg klar, hübsch gearbeitet und wohlklingend; aus dem Klaviersatz aber kann man erkennen, mit welcher Gewandtheit er schon damals dies Instrument behandelt haben muss. Im Jahre 1820 führte sein Meister Zelter in nach Weimar zu Goethe . Felix musste sich vor dem Dichterfürsten in freien Phantasien ergehen, eine Bachsche Fuge, die Ouvertüre zu Figaro spielen und endlich, da Goethe ihm so recht auf den Zahn fühlen wollte, Autographen von Mozart und Beethoven dechiffrieren, die jener selbst herbeigeholt hatte. Goethe war über diese Leistungen im höchsten Grade erstaunt und gewann den aufgeweckten, genialen Knaben ungemein lieb. Zwei Jahre später finden wir Felix abermals als Gast in Goethes Hause, und dieser schrieb an Zelter: „Felix produzierte sein neuestes Quartett zum Erstaunen von jedermann.“ Es war dies das später als op. 3 erschienene, Goethe gewidmete Klavierquartett in H-moll, welches in der Tat als das Werk eines 14 – 15 jährigen Knaben zu bewundern ist, denn es zeugt nicht allein von einer merkwürdigen Formbeherrschung und Kenntnis der Instrumente, sondern auch der Gedankeninhalt ist keineswegs oberflächlich, sondern zum Teil leidenschaftlich erregt, zum Teil sanft schwärmerisch, und das Scherzo weist schon auf den späteren Meister hin, der so wunderbare, noch nicht da gewesene Klänge für die Zeichnung des Elfenvölkchens gefunden hat. Aus diesen Tagen stammt der Goethesche Vers, welchen der greise Dichter dem Knaben ins Stammbuch schrieb, nachdem Adele Schopenhauer ein geflügeltes Steckenpferd , auf dem ein kleiner geflügelter Genius reitet, dazu geliefert hatte:
Wenn über die ernste Partitur
Quer Steckenpferdlein reiten -
Nur zu! Auf weiter Töne Flur
Wirst Manchem Lust bereiten,
Wie Du's gethan mit Lieb' und Glück,
Wir wünschen Dich allesammt zurück.
Was die letzten Zeilen sagen, sprach Goethe in noch weit herzlicherer Weise aus mit folgenden, an die Mutter gerichteten Worten: „Er ist ein himmlischer, kostbarer Knabe! Schicken Sie ihn mir recht bald wieder, dass ich mich an ihm erquicke.“
Zu jener Zeit trat Felix auch zwei großen Musikern näher, welche beide bedeutenderen Einfluss auf ihn gewannen. Als Carl Maria von Weber im Jahre 1821 nach Berlin gekommen war, um dort seinen Freischütz aufzuführen, ging er nach einer absolvierten Orchesterprobe mit seinem Schüler Benedict unter den Linden spazieren, da sprang plötzlich ein reizender zwölfjähriger Knabe mit glänzenden Augen und wallendem Lockenhaar auf ihn zu. Weber reichte ihm freundlich die Hand und sagte, zu Benedict gewandt: „Schau, das ist Felix Mendelssohn“. Man ersieht hieraus, dass der Knabe schon damals gewissermaßen eine musikalische Persönlichkeit war. Während seines Berliner Aufenthaltes war Weber stets ein hochwillkommener Gast im Mendelssohnschen Hause und hat unleugbar auf die künstlerische Entwicklung Mendelssohns nicht unbedeutenden Einfluss ausgeübt. Der andere Tonmeister, dem Felix näher trat, war Ignaz Moscheles , welcher in Berlin als Klaviervirtuose und Komponist große Triumphe feierte und auf des Vaters Wunsch dem Sohne – wenn auch mit einigem Zögern und einer gewissen Beklommenheit – Klavierunterricht erteilte. Er mochte wohl empfinden, dass das Verhältnis des Lehrers zum Schüler sich bald in das von freundschaftlich miteinander verkehrenden Kollegen umwandeln würde; und so geschah es: zwischen beiden bildete sich bald ein auf gegenseitige Achtung und Zuneigung basiertes Freundschaftsverhältnis heraus, welches bis zu Mendelssohns frühem Tode immer ein gleiches geblieben ist. Inzwischen
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