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Und meine Seele ließ ich zurueck

Und meine Seele ließ ich zurueck

Titel: Und meine Seele ließ ich zurueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jérôme Ferrari
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sorgfältig rasierte, um seine französische Offiziersehre zu bewahren, dazu riet, den Vorschlag der Vietnamesen anzunehmen, dass die jeweiligen Portionen Reis in Hinsicht auf den Dienstgrad ausfallen sollten. Beinahe murmelnd hatten Sie schlicht und einfach verkündet, dass Sie noch nie besonders viel Appetit besessen hätten und mit einer Ration zweiter Klasse zufrieden wären, ganz egal, welche Entscheidung getroffen werden würde. Ich erklärte, dass für mich das Gleiche galt. Ein Sous-Lieutenant, dessen glänzende Litze Zeugnis davon ablegte, dass er kürzlich erst befördert worden war, sagte Für mich auch eine Ration zweiter Klasse, und an seinem Akzent erkannte ich umgehend einen Landsmann. Einen Augenblick später wurden weitere Stimmen laut, aber ich wusste sehr genau, dass sie voller Erleichterung still geblieben wären, hätten Sie nicht gesprochen, und Capitaine Lestrade senkte stillschweigend den Blick. Ich bin auf den Sous-Lieutenant zugegangen und habe ihn gefragt, von wo er stamme. Er nannte sich Paul Mattei, Sie dürften sich an ihn erinnern, mon Capitaine, und während Sie ihm die Hand schüttelten, habe ich beobachtet, wie Capitaine Lestrade Ihnen verstohlen einen scham- und grollerfüllten Blick zuwarf. Hatte er die Zeit, über die Niedertracht, die Nutzlosigkeit all dessen nachzudenken, hatte Capitaine Lestrade die Zeit, zu verstehen, dass einige Gramm zusätzlichen Reises nichts für ihn geändert hätten, hatte er die Zeit dazu, mon Capitaine?, bevor wir sein Grab ausheben sollten, keine drei Wochen später, unter einschlagenden Regengüssen, als unsere Muskeln bereits gelähmt davon waren, die Schaufeln immer und immer wieder bedienen zu müssen, um die vielen Gräber auszuheben, dasjenige von Lieutenant Thomas, dasjenige von Lieutenant Maury de la Ribière, diejenigen all jener Männer, die zu leben sich erhofft hatten und sich dennoch von den Trugbildern des Durstes haben in dem Maße verleiten lassen, dass sie wie Hunde verdorbenes Wasser schleckten, was sie dazu zwang, sich zwanzigmal täglich zu den Latrinen zu schleppen, bis sie auch dazu nicht mehr die Kraft besaßen und, einer nach dem anderen, in einer pestilenzialischen Lache aus Blut und Schleim mit dem Tod rangen und dabei immer noch in ihren Fieberdelirien vom Tag unserer Befreiung träumten, und während wir sie, einen nach dem anderen, hinunterwarfen in die Grube, sagten Sie immer wieder zu mir, mon Capitaine, dass so der nackte Mensch sei und dass seine Schwäche so gestaltet sei, dass sie unseren Hass nicht verdiene, und ich bewunderte Ihr unveränderliches Wohlwollen, auch wenn ich es weder teilen noch verstehen konnte, denn, ja, mon Capitaine, das war inzwischen mehr, als ich fähig gewesen wäre, zu ertragen, und ohne Sie hätte ich nicht überlebt, ich bin mir nicht sicher, ob ich Ihnen dafür danken sollte, aber ich weiß, dass ich nicht überlebt hätte, die Wut, die mich andauernd erstickte, hätte mich schließlich getötet, ich fühlte Ihre Wärme mich vor den ausgemergelten Kadavern, die wir unter dem Regen begruben, überfluten, diese karmesinroten Tücher verdunkelten mir den Blick bei jeder einzelnen Reeducation-Sitzung, während derer wir die Überzeugungsreden des Politkommissars zum Sinn der Geschichte und der Ankunft des Neuen Menschen erleiden mussten, als wäre der Neue Mensch nicht schon längst da, vor ihm, in ebendiesem Augenblick, mager und stinkend, seine frei liegenden Zähne in der Kloake seines Zahnfleisches badend, wie es schon immer gewesen war, seit Anbeginn der Welt, und wie es für immer sein wird, Sie wissen es genauso gut wie ich, mon Capitaine, aber der Politkommissar leierte weiterhin seine Albernheiten runter und ich zitterte buchstäblich vor Wut angesichts seiner Jesuitenfresse, seines verständnisvollen und unbarmherzigen Lächelns, seines Lehrergehabes, er widerte mich derartig an, dass ich mich nicht zurückhalten konnte, zu ihm zu sagen, dass die Kommunisten keine andere Internationale als die des Gestanks aufgestellt hätten, ich konnte mich einfach nicht zurückhalten, mon Capitaine, und ich habe es zu ihm mit einer unsagbaren Erleichterung gesagt, möglicherweise in der Hoffnung, dass er mir eine Kugel in den Nacken jagen würde und diese ganze unzumutbare Komödie damit ein Ende fände, aber er bescheidete sich damit, mich untröstlich anzusehen, was meine Wut sich verhundertfachen ließ, und am Abend, als er vor mir zu stehen kam, hatte der Soldat, der die Nahrung verteilte,

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