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Und meine Seele ließ ich zurueck

Und meine Seele ließ ich zurueck

Titel: Und meine Seele ließ ich zurueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jérôme Ferrari
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zu einer ewigen, unveränderlichen, unendlichen Welt, ohne dass es nötig wäre, auf das Jüngste Gericht zu warten. Er besaß den Schlüssel zu dieser Welt, die ihn Gott näher brachte, und er dachte, dass ein Leben, das damit verbracht werden würde, diese zu erforschen, ein perfektes Leben wäre. Die elitären Ingenieursschulen interessierten ihn nicht, zur großen Zufriedenheit von Lézieux, der seine Verachtung gegenüber allem, was den Niederungen des Praktischen angehörte, teilte und ihm, als er an seiner Seite ging, seine Gewissheit verkündete, dass er an der Ecole normale supérieure angenommen werden würde. Die Ewigkeit jedoch ist nicht geschützt vor dem Leiden der Welt. Der Krieg ging weiter und André Degorce hatte das immer stärkere Gefühl, dass seine blinde Seligkeit eine Sünde war. Irgendetwas Schlechtes hatte sich ausgebreitet und diese Sache begnügte sich nicht damit, das Leben auszulöschen, sie musste es zuvor noch beschämen und in den Schmutz ziehen; bald schon würde kein Weg mehr zur unendlichen Schönheit führen und der Menschen Seele würde so abgrundtief verdorren, dass sie es nicht einmal mehr bedauern könnten. Wochenlang hat er gegenüber Lézieux, der das Gespräch unabänderlich wieder auf die Arbeiten von Cantor oder auf den Hilbertraum lenkte, seinen Wunsch ausgesprochen, sich nützlich machen zu wollen, bis er ihm eines Tages dann antwortete, dass er ihm nun die Möglichkeit gewähren könnte, sich nützlich zu machen. Die Alliierten waren soeben in der Normandie gelandet und Lézieux dachte wahrscheinlich, dass sein Schüler damit vor baldigen Vergeltungsmaßnahmen geschützt wäre. Nicht einmal einen Monat später, kurz bevor die Tür der Wohnung, in der sie sich treffen wollten, eingeschlagen worden war, ließ das überstürzte Gehämmer von Schritten auf der Treppe André das Herz gefrieren und mit der Rückkehr aus Buchenwald war ein der Mathematik gewidmetes Leben nicht mehr vorstellbar gewesen. Er hatte sich niemals als besonders kampfeslustig empfunden, Disziplin hatte ihn nie gereizt und für Handlung hatte er keinerlei Sinn, eine militärische Karriere jedoch drängte sich ihm mit absoluter Notwendigkeit auf. Die Möglichkeit von Schönheit musste bewahrt werden, das war alles, was von Bedeutung war, selbst wenn dies heißen sollte, dass er sich von ihr abwenden musste und davon abzusehen hatte, sich an ihr erfreuen zu dürfen.
    (Und das habe ich aus meinem Leben gemacht.)
    Heute ist er es, der die Treppen hochrennt, und der Lärm seiner boshaften Schritte verlängert den Schrecken und den Tod, den er hat bekämpfen wollen. Er hat in die Welt all das eintreten lassen, was er aus ihr hatte verjagen wollen. Keines der Ziele, die er einst verfolgte, konnte ihn davon freisprechen. Es ist unmöglich, zu verstehen, was geschehen ist. Er hat alles verloren. Sein einziger Kontakt mit der Mathematik lässt sich in schmutzigen statistischen Berechnungen zusammenfassen, die seine vertraulichen Berichte schmücken. Er hat alles, was ihm mitgegeben war, ruiniert, die Barmherzigkeit Gottes überstrapaziert und seine Seele ruht irgendwo, weit, weit hinter ihm.
    *
    Robert Clément sieht furchtbar aus. Er hat in dieser Nacht wohl kein Auge zugemacht. Seine Augen glänzen und sind von Rändern gezeichnet. Ein kleiner Pickel ist ihm am Mundwinkel direkt unter dem Schnurrbart gewachsen. Er atmet sehr heftig. Capitaine Degorce ist überrascht, dass ihn eine einzige Nacht in einen solchen Zustand gebracht hat. Er weiß, dass er bald reden wird. Er kniet sich vor ihm nieder.
    – Sehen Sie, die Nächte sind schwierig, sagt er und seine Stimme klingt exakt wie am Vortag, ruhig und taktvoll, als ob nichts geschehen wäre. Sollen wir alldem ein Ende bereiten?
    – Ich habe Ihnen nichts zu sagen, antwortet Clément. Wie häufig werde ich das noch wiederholen?
    – Das weiß ich doch nicht!, verwundert sich Capitaine Degorce. Sie können mir das so häufig wiederholen, wie Sie wollen! Ich weiß, dass es falsch ist, und das ist alles, was zählt.
    Er wendet sich Moreau und Febvay zu.
    – Unser Freund wirkt nicht gerade gut in Form, nicht wahr? Und doch ist es ziemlich dumm, derart zu beharren, was?
    – Gewiss, mon Capitaine, verdammt dumm.
    Die Harkis stimmen mit wissendem Mienenspiel zu.
    – Haben Sie gehört, Monsieur Clément? Ihre Haltung findet allgemeine Zustimmung, möchte man meinen. Verstehen Sie denn nicht, dass Sie früher als wir der Sache müde werden?
    Clément schlägt für

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