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Und meine Seele ließ ich zurueck

Und meine Seele ließ ich zurueck

Titel: Und meine Seele ließ ich zurueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jérôme Ferrari
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ist die Sonne untergegangen. Er weiß nicht, ob es nicht nur darum geht, die Zeit ablaufen zu lassen, oder aber ob er noch immer unfähig ist, sich der Einsamkeit zu fügen. Die Worte, die ihn leiden lassen, helfen ihm, sich lebendig zu fühlen.
    »Mein Kind, mein Geliebter, André, keine Neuigkeiten heute. Ich habe keine Lust, Dir von den Kindern zu erzählen und den Kleinigkeiten unseres von Dir so entfernten Lebens. Es ist Nacht und Du bist so fern. Würde ich Dich nicht kennen, ich könnte glauben, dass Du uns nicht mehr liebst. Deine Briefe sind so kurz und kalt. Aber ich kenne Dich, ich kenne die Reinheit Deiner Seele, Deine Ehrlichkeit, und ich will es nicht glauben. Und so weiß ich also, dass Du leidest und dass Du nicht darüber sprechen willst.«
    (Aber ich habe keine Seele mehr.)
    Ein Riss macht den Anfang des folgenden Satzes unentzifferbar.
    »... für alles, was Dich quält. Und also werde ich so lange warten, wie es nötig ist und Du Deinen Schmerz endlich mit mir teilen wirst. Ich bin inzwischen schon fast alt, aber es gibt nichts, was ich von Dir nicht hören könnte, das ist der Vorteil, wenn man mit einer alten Frau verheiratet ist! Wenn Du weiterhin ein für Dich viel zu schweres Gewicht alleine tragen möchtest, André, dann tue dies, wenn das wichtig ist für Dich, aber vergiss dabei nicht, dass ich da bin, um meinen Teil mitzutragen, und dass Du wann immer Du willst mit mir sprechen kannst. Die Distanz macht alles nur noch schwieriger, mein Kleiner, aber ich bin mir sicher, dass es Dir leicht fallen wird, zu reden, wenn Du bei mir sein wirst, und ich weiß sogar, dass Du es nötig haben wirst. In der Zwischenzeit sage mir zumindest bitte, dass ich mich nicht irre, ich weiß, dass ich mich nicht irre, aber ich möchte, dass Du es mir schreibst, ohne weitere Erklärung, wenn Du magst, aber dies schreibe mir, denn meine Nächte sind furchtbar. Oh, ich werfe Dir nichts vor, André, ich bitte Dich um einen Gefallen. Und ich, ich werde Dir weiterhin erzählen, vom Angeln und vom wunderbaren Frühling, den wir hier haben, und ich werde Dir alle Einzelheiten liefern, den Duft des blühenden Buschwaldes, die Spiele der Kinder, ihre Launen kleiner, böser Kreaturen und ihre Gutherzigkeit, unsere Familienspaziergänge, ich werde damit fortfahren, damit Du weißt, dass wir alle da sind, dass es einen Platz in unseren Herzen gibt, an dem Du immer sein wirst und wo nichts sich gewandelt hat, ich werde nichts mehr von Dir erfragen und darauf warten, dass Du bereit bist, zu ...«
    – Mon Capitaine, Sie müssen bitte sofort mitkommen.
    *
    Robert Clément liegt auf der Seite, auf dem Boden seiner Zelle, den unteren Teil seines nackten Leibes bedeckt eine Militärdecke. Seine Arme sind gegen seine Brust gezogen, schwarz vor getrocknetem Blut. Blut befindet sich auch auf den Fliesen um ihn herum, eine riesige Lache, die sich Richtung Wand ausbreitet und unter dem Strohbett verschwindet. Ein Fuß lugt aus der Decke hervor und seine milchige Blässe wirkt wie ein Lichtfleck im Dunkeln. Adjudant-Chef Moreau taucht einen Schwamm in einen Wassereimer und reinigt vorsichtig Cléments Arme, an denen die Spuren tiefer und unregelmäßiger Schnitte sichtbar werden, die die leichenblasse Haut zerschneiden. Capitaine Degorce kniet sich neben Moreau nieder und nimmt ihm den Schwamm aus den Händen. Er drückt ihn aus, um das Blut herauszuwringen und reinigt ihn so lange, bis das Wasser, das aus ihm rinnt, vollkommen klar und rein ist. Er dreht Clément auf den Rücken, hebt behutsam dessen Kopf, der mit dem Blut auf dem Boden verklebt ist. Er führt den Schwamm über das Gesicht, durch das Haar, über die Augen, die sich einfach nicht schließen wollen. Der Pickel ist noch immer da, unterhalb des lächerlichen Schnurrbarts. Seine gespannten Lippen sind beinahe blau.
    – Wie hat er das gemacht?, fragt Capitaine Degorce.
    – Ich habe keine Ahnung, mon Capitaine, antwortet Moreau. Ich verstehe es einfach nicht.
    In der Nähe des Leichnams findet ein Soldat ein im Blut klebendes Stück schwarzes, gebogenes Plastik, gut zehn Zentimeter lang und grob geschärft, das er Capitaine Degorce hinhält. Clément musste es lange an den Wänden seiner Zelle gescheuert haben. In einem gewissen Sinne war seine Entschlusskraft ungebrochen. Sie war einfach nur auf ein völlig anderes Ziel gerichtet.
    – Wo hat er das her? Was ist das?
    – Ich habe keine Ahnung, mon Capitaine, wiederholt Moreau.
    – Sieht wie ein Stück einer Klobrille

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