Und morgen am Meer
entgangen.
Fieberhaft überlegte ich. Drehte ich jetzt um, wussten sie, dass irgendwas nicht stimmte. Fuhr ich in die Kontrolle rein, würden sie die Ausweise sehen wollen. Ganz davon abgesehen, dass ich ihnen unmöglich meinen Ausweis zeigen und damit zugeben konnte, dass ich mittlerweile schon zwei Ostblockgrenzen illegal überschritten hatte, würde es bei Milena schon reichen, wenn sie ihren Perso sahen. Waren sie von den DDR -Behörden informiert, würden sie sie erkennen und dann mitnehmen und nach Hause bringen.
Einen Moment lang standen wir so, ohne wirklich zu wissen, was wir tun sollten. Die Polizisten, oder besser gesagt, die Milizionäre, wie sie hier hießen, hatten uns entdeckt. Auch wenn sie ein ganzes Stück von uns entfernt standen, schienen sie zu spüren, dass irgendwas faul war. Als ein paar von ihnen in ihr Auto sprangen, wusste ich, was die Stunde geschlagen hatte. Wir mussten hier weg!
»Halt dich fest«, rief ich Milena zu und spürte augenblicklich den Druck ihrer Hände. Ich drehte den Gashahn bis zum Anschlag auf.
Dann ließ ich die Kupplung kommen und wendete die Jawa rasant.
Ich hatte sie bisher noch nicht völlig ausgefahren und wusste nicht, welche Geschwindigkeit sie erreichen konnte. Aber das würde ich gleich erfahren.
Die Jawa schoss wie ein losgelassenes Rennpferd nach vorn. Milena klammerte sich fester um meinen Bauch, während ich Gas gab und dann so fix wie möglich schaltete. Während ich die Straße entlangraste, hörte ich die Sirenen hinter uns. Die Bullen waren tatsächlich nur unseretwegen hier.
Ein böser Verdacht kam mir. Hatte Dr. Karol uns verraten? Nur er hatte gewusst, dass wir nach Prag wollten.
Die andere Möglichkeit war, dass Dr. Karol abgehört worden war. Da ich bezweifelte, dass jemand, der uns schaden wollte, abgewartet hätte, bis ich wieder gesund war, war das Abhören wahrscheinlicher. Zumal er nicht linientreu war, mit dem Prager Frühling zu tun hatte und sich sicher öfter mal kritisch zum Kommunismus geäußert hatte.
Aber all diese Gedanken nützten jetzt wenig.
Tatsächlich gelang es uns, einen Vorsprung vor den Polizeiwagen zu gewinnen, doch sie blieben nichtsdestoweniger an uns kleben wie Kletten. Ich musste mir was einfallen lassen. Während ich das Gas weiterhin auf Anschlag hielt und die Tachonadel auf 120 km/h zuckte, überlegte ich fieberhaft, dann kam mir etwas in den Sinn. Wenn es mir gelang, einen Weg ins Dickicht hinein zu finden, konnten sie uns mit ihren kantigen Wagen nicht folgen.
Zwei Einfahrten in den Wald verpassten wir bei der Geschwindigkeit, die dritte sah ich glücklicherweise rechtzeitig. Ich bog ab, allerdings unterschätzte ich den Boden, der eigentlich trocken gewirkt hatte – aber zwischen den hohen Grasbüscheln sehr sandig war.
Plötzlich wurden wir herumgerissen. Das Hinterrad rutschte auf dem schlammigen Untergrund weg, und ehe ich reagieren konnte, stürzten wir. Ich hörte Milena hinter mir aufschreien. Panik überfiel mich, dann landete die Maschine auch schon auf meinem Bein. Der Motor heulte auf, das Hinterrad rotierte, verteilte noch eine Weile Schlammspritzer, bis die Maschine endlich absoff.
Hoch, wir mussten wieder hoch! An etwas anderes konnte ich nicht denken. Mit aller Kraft versuchte ich, die Maschine von uns herunterzuschieben.
Doch in dem Augenblick hatten uns die Polizisten erreicht.
»Milena!«, rief ich, versuchte, mich umzudrehen, doch auch ihr gelang es nicht, sich unter der Maschine hervorzuziehen. Das erledigten die Polizisten, die grob nach uns griffen und uns durch den Schlamm zerrten.
War’s das?
Mit Worten, die wir nicht verstanden, blafften sie uns an. Na, die Befragung konnte lustig werden, dachte ich noch mit Galgenhumor, während es in meinem Magen kniff und biss.
Der Mann in der grauen Uniform, der nun aus dem zweiten Wagen stieg, wollte nicht so recht zu den tschechischen Milizionären passen. Zielstrebig ging er auf Milena zu.
»Fräulein Paulsen?«
Ich sah, wie sie zusammenzuckte. Der Mann zog etwas aus seiner Jackentasche, wie ich sehen konnte, war es die schlechte Kopie eines Fotos. Darauf war sie allerdings immer noch sehr gut zu erkennen, sodass Leugnen nichts geholfen hätte.
Der Grenzer nickte zufrieden, wandte sich dann an die tschechischen Polizisten und rief ihnen etwas zu, das ich nicht verstand. Dann wurden wir weggezerrt, Milena in das eine Auto, ich in das andere. Ich sah noch kurz, wie einer der Polizisten dazu abkommandiert wurde, das Motorrad
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