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Und morgen am Meer

Und morgen am Meer

Titel: Und morgen am Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corina Bomann
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nichts beweisen, hätte ich am liebsten gesagt, doch dann sah ich, dass es kein Protzen war, das er an den Tag legte. Claudius’ Mut war echt. Er erreichte damit, dass sich die Stasimänner nun doch mehr um ihn als um mich kümmerten.
    Aber würde ich den Mut haben dazwischenzugehen, wenn sie ihn folterten?
    Mit dem Einsatz physischer Folter ließen sie sich noch Zeit. Stattdessen zog sich der Stasimann den einzigen Stuhl heran und begann mit dem Verhör. In harschem Ton stellte er uns Fragen nach unserer Identität und was wir hier in der ČSSR zu suchen hatten. Ich wurde gefragt, ob Claudius mich entführt habe, warum ich ausgerissen sei und was wir in der Zeit angestellt hätten.
    Ich antwortete, dass wir nur zum Campen hergefahren seien, und ja, meinem Vater hatte ich nichts davon gesagt, weil ich sauer auf ihn war. Das war noch nicht mal gelogen.
    Außerdem wurde ich gefragt, wer der Junge neben mir sei, und da antwortete ich, dass ich seinen Namen nicht kenne. Das glaubten sie mir natürlich nicht, und so zog ein Sturm von Beschimpfungen über meinen Kopf hinweg. Claudius’ empörte Einmischung ignorierten sie, wahrscheinlich hofften sie, dass er einlenken würde, wenn ich zu heulen begann. Aber ich heulte nicht. Und ich ließ auch die Schimpfworte nicht zu mir vordringen. Ich versuchte, mich auf eine Melodie in meinem Innern zu konzentrieren, auf die Akkorde, auf das Rauschen, mit denen sie in Onkel Erwins Radio immer begleitet wurden. Als es mir schließlich gelang, konnte ich nichts anderes tun als lächeln, denn die Stimme der Stasileute kam nicht mal mehr bei mir an. Hin und wieder versetzte mir der andere Stasityp einen Stoß gegen die Schulter, als Zeichen, dass ich gefälligst antworten sollte, doch dann sagte ich irgendeinen Quatsch, der den anderen wieder schreien ließ. Und so verging Minute um Minute, Stunde um Stunde.
    Nach gefühlten hundert Stunden waren die Fragen immer noch dieselben. Die Nacht brach herein, doch man ignorierte, dass wir zum Umfallen müde waren. Immer wieder die gleichen Fragen. Immer wieder der Versuch, aus Claudius rauszukriegen, wer er war.
    Alle Knochen taten mir weh, und als der Morgen dämmerte, fragte ich mich bereits, ob ich mich nicht einfach auf den Boden legen sollte.
    Da beschlossen die Stasimänner glücklicherweise, dass es Zeit für eine Raucherpause war und zogen ab. Als Wache ließen sie nur einen Polizisten vor der Tür.
    Ich sank auf die Knie und fühlte mich furchtbar elend. Das Gespräch mit dem Stasimann in der Schule war nichts gegen das hier gewesen. Auch wenn ich daran dachte, dass ich mich im Büro des Direx übergeben hatte. Klar, auch hier hatte ich große Angst, aber irgendwie schien mein Magen jetzt unbeteiligt zu sein.
    Natürlich war mir klar, dass die Stasileute bei ihrer Rückkehr härter durchgreifen würden, aber fürs Erste hatten wir einen Sieg errungen. Sie wussten noch immer nicht, wer Claudius war.
    Als ich auf dem Boden zusammensank, spürte ich Claudius’ Hand auf der Schulter.
    »Du bist große Klasse, weißt du das?«, fragte er.
    Ich konnte weder nicken noch den Kopf schütteln. Mein Hals fühlte sich wund an, meine Knochen schmerzten.
    »Wir werden durchhalten«, sagte er und hockte sich vor mich. Streichelte mein Gesicht und küsste mich auf den Mund. »Mach jetzt nicht schlapp. Wir werden das hinbekommen. Und wenn alle Stricke reißen, sagst du ihnen eben einen Namen. Irgendeinen. Müller, Meier, Schulze, was auch immer dir einfällt, ich werde es bestätigen.«
    »Und wenn sie uns getrennt befragen?«, fragte ich schwach. »Sie haben ja jetzt gemerkt, dass sie den einen nicht mit dem anderen erpressen können.«
    Claudius wollte gerade antworten, da öffnete sich wieder die Zimmertür.
    Waren diese Mistkerle so schnell mit ihren Zigaretten fertig?
    Das blasse Gesicht eines jungen Milizionärs erschien im Türspalt. Er war derjenige, der Claudius’ Motorrad aus dem Dreck geholt hatte. Was wollte er? Nachschauen, ob wir noch hier waren?
    »Ihr!«, sagte er mit hartem Akzent, nachdem er sich auf dem Hof umgesehen hatte. »Wollt ihr abhauen?«
    Hörte ich richtig? Der Polizist sprach Deutsch. Und redete von abhauen.
    Ein Schluchzen stieg in meiner Brust auf, doch ich unterdrückte es rasch. Ich wagte den Gedanken, der mir in den Verstand schoss, nicht zu Ende zu denken. Nein, das konnte nicht sein. Er würde nicht …
    »Ja!«, sagte Claudius, auch auf die Gefahr hin, dass das eine Falle war und hinter dem Polizisten einer der

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