Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Und morgen am Meer

Und morgen am Meer

Titel: Und morgen am Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corina Bomann
Vom Netzwerk:
beherbergen.
    Es stellte sich heraus, dass er Ende der Fünfzigerjahre in der DDR studiert und dabei Deutsch gelernt hatte. Hin und wieder kamen Touristen aus der DDR und der BRD zu ihm, weil es sich in der Stadt herumgesprochen hatte, dass er ihre Sprache verstand.
    Viele Westdeutsche und manchmal auch die Ostdeutschen sprachen ihn tatsächlich erst einmal auf Englisch an, was ihn dazu gebracht hatte, bei mir gleich richtig zu tippen.
    Abends erzählte er uns von seinem Bruder und wie sie damals in Prag gegen die russische Besatzung protestiert hatten. Diese Ereignisse hatten den Arzt dazu gebracht, sich nie irgendwelchen sozialistischen Aktionen anzuschließen oder gar in die Kommunistische Partei einzutreten. Dafür, dass er sich weigerte, seine Praxis in die Poliklinik zu verlegen, hatte er großen Ärger bekommen, aber mit Sturheit und Ausdauer hatte er diesen ausgesessen und konnte sich jetzt über einen großen Patientenstamm freuen. Zur Poliklinik gehörte er offiziell zwar, doch das bedeutete nur, dass er den Notdienst mit übernehmen musste, und das war für ihn keine Strafe.
    Am Abend vor unserer Abreise saßen wir noch einmal am Küchentisch und aßen leckere böhmische Knödel. Das Essen, das Frau Karlova – die Frauen hängten hier eine zusätzliche Silbe an ihren Namen dran – kochte, war insgesamt hervorragend, aber die Knödel konnte sie am allerbesten.
    »Und ihr wollt wirklich über Ungarn flüchten?«
    In den vergangenen Tagen hatte sich Dr. Karols Deutsch so sehr gebessert, dass man nur am Akzent hörte, dass er Tscheche war. Der Wortschatz und die Grammatik waren wieder nahezu perfekt, worauf ich richtig neidisch war. Wenn mein Russisch oder Englisch so gut wäre …
    »Ja, das wollen wir«, antwortete ich, nachdem ich zu Claudius geblickt hatte. »Ich fürchte, wir haben keine andere Wahl. Ich muss Claudius ja nach Hause bringen.«
    Mein Vertrauen zu Dr. Karol war in den letzten Tagen so groß geworden, dass ich ihm erzählt hatte, wohin wir wollten und wie es sich mit Claudius verhielt.
    »Das war ziemlich leichtsinnig, einfach so über die Grenze zu kommen«, bemerkte der Arzt wie schon beim ersten Mal, als ich ihm davon berichtet hatte. »Du hättest dir ein Visum für viele Tage geben lassen können. Dann wärst du über jede Grenze gekommen. Jetzt musst du flüchten, und in Ungarn wird es nicht besser, seit die Leute aus der DDR ständig dorthin reisen, um das Land zu verlassen. Ihr solltet nach Praha gehen, man hört, dass sich dort viele Leute in der Botschaft aufhalten.«
    »In die Botschaft der BRD ?«, erkundigte sich Claudius.
    »Ja, es gehen sehr viele dorthin, weil die meisten nicht mehr nach Ungarn kommen. Ihr solltet überlegen, ob ihr da auch hinwollt. Wäre leichter, als durch das ganze Land zu reisen und dann vor dem Eisernen Vorhang zu stehen.«
    Die Botschaft war eine Möglichkeit. Zumindest, um Claudius mit Visa auszustatten. Sicher würde man nicht darüber erfreut sein, dass er sich in die DDR und die ČSSR reingeschlichen hatte. Aber Botschaften waren doch dazu da, um zu helfen …
    Andererseits widersprach das dem, was wir eigentlich vorhatten. Es ging nicht nur um Republikflucht. Es ging darum, nach Italien zu kommen, ans Meer.
    Ich konnte Claudius aber ansehen, dass ihm diese Lösung gefiel. Und mir gefiel sie auch, denn so würde uns die Frage, wie wir über die ungarische Grenze kommen sollten, nicht mehr im Nacken sitzen.
    »Gut, dann fahren wir nach Prag«, antwortete ich für uns beide und sah Claudius zustimmend nicken. »Haben Sie da so was wie eine Adresse für uns?«
    Die hatte Dr. Karol und sogar eine neue Straßenkarte. Er erklärte uns ausführlich, welchen Weg wir am besten nehmen sollten, gab uns für alle Fälle auch noch eine Adresse von Freunden in Prag. Fast schien es, als hätte er an unserer Flucht mehr Freude als wir selbst. Seine Augen leuchteten, und als er mit seinen Ausführungen fertig war, setzte er hinzu: »Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie sehr ich seit Jahren darauf hoffe, dass dieser verdammte Vorhang endlich fällt. Unsere Freunde in Ungarn haben das Richtige getan, und ich bin sicher, dass wir Tschechen und Slowaken auch eines Tages erkennen, was richtig ist. Kein Mensch lässt sich auf ewig zwingen, kein Mensch auf ewig einsperren.« Er griff über den Tisch und legte seine Hände auf unsere. »Ich wünsche euch jedenfalls, dass ihr es schafft.«
    Am Abend lagen wir beide auf dem oberen Bett und schauten auf das

Weitere Kostenlose Bücher