Und morgen am Meer
Mondlicht, das an der Decke glänzte. Meine Gedanken kreisten immer noch um Dr. Karol. Ich hatte ein wenig Angst, wenn ich an das dachte, was der Arzt erzählt hatte. Panzer gegen steinewerfende Menschen zu schicken, war unfair, nein, ein Verbrechen. Kein Wunder, dass uns so etwas nicht in der Schule beigebracht wurde – denn eigentlich sollte der Sozialismus für Menschlichkeit stehen und nicht den Menschen die Freiheit und das Leben nehmen.
»Habe ich dir eigentlich schon für alles gedankt, was du getan hast?«, fragte Claudius unvermittelt, während seine Hände warm und weich auf meinem Bauch lagen.
»Habe ich das von dir verlangt?«, fragte ich zurück.
»Nein, das hast du nicht«, entgegnete er und kitzelte mit den Lippen meine Schläfe.
Ich spürte, wie gern er jetzt mit mir schlafen wollte, und ich wusste auch, wie gern ich jetzt mit ihm schlafen wollte. Aber ich hatte mich nicht getraut, in der Stadt nach Kondomen Ausschau zu halten. Mehr als streicheln, küssen, schmusen blieb uns nicht, wenn ich nicht schwanger am Strand sitzen wollte.
Das wusste er genauso gut wie ich, und so blieb es bei dem, was wir hier tun konnten, ohne dass wir den guten Doktor und seine Frau erschreckten.
»Siehst du, dann musst du mir auch nicht danken, das war selbstverständlich«, sagte ich und ließ nun meine Hand unter sein Polohemd gleiten. Sein Bauch fühlte sich so gut an, seine Haut war weich, die Muskeln darunter fest. Gleiches galt auch für seine Brust.
»He, wo willst du denn hin?«, fragte er, als ich meine Hand wieder nach unten gleiten ließ. »Hast du etwa eine Packung Mondos gefunden?«
Ich kicherte. »Nein, hab ich nicht. Ich dachte nur mal ich schau, wie weit ich gehen darf.«
»Also das war hart an der Grenze.« Er zog mich an sich und küsste mich.
»Ich bin so froh, dass es bald ein Ende hat.«
»Aber wir sind noch nicht am Meer.«
»Da kommen wir noch hin. Und dann werden wir auch zu Julias Balkon gehen und ich werde dich von unten wie Romeo anschmachten.«
»Versprochen?«
»Klar! Das ist doch das Mindeste!«
So lagen wir da und lauschten dem Atem des anderen. Draußen fuhr ein Wagen vorbei, Scheinwerferlicht kroch über die Fassade der Villa, tauchte kurz in unser Fenster ein und strich über unsere Gesichter. Dann wurde es wieder still, und nur wenig später schlief ich ein.
Claudius
Ein wenig traurig war ich schon darüber, dass wir Kladno wieder verlassen mussten. Bei Dr. Karol und seiner Frau hatte ich mich wirklich wohlgefühlt, und Milena war es ebenso ergangen.
Ausgestattet mit sauberen Sachen, guten Ratschlägen und viel Proviant verabschiedeten wir uns von dem Arzt und seiner Frau und rollten dann mit der frisch aufgetankten Jawa vom Hof.
Am Abend zuvor hatten wir beschlossen, erst einmal nach Prag zu fahren und uns in der Botschaft zu melden. Wenn die Sache mit meinen Visa geklärt war, würden wir weitersehen. Vielleicht konnte der Botschafter auch Milena helfen, sodass wir irgendwann nach Italien weiterfahren konnten.
Während über uns am Himmel dunkle Wolken aufzogen, fuhren wir auf die Landstraße Richtung Prag. Schon am Morgen war es wahnsinnig heiß und drückend. Zunächst dachte ich, dass das noch Nachwirkungen meiner Krankheit waren, doch ich fühlte mich eigentlich wieder gut. Es war das Wetter, ganz klar.
Und die Aufregung. In meinem Magen kribbelte es freudig, wenn ich an Prag dachte. Nicht nur, dass es eine schöne Stadt sein sollte, es würde auch ein wenig Angst von unseren Schultern genommen.
Doch ein blaues Blitzen vor uns zerstörte meine Zuversicht. Ein Stück vor uns, am Straßenrand, entdeckte ich zwei weiß-gelbe Ladas, die blaue Rundumleuchten und die Buchstaben VB auf ihren Türen hatten.
Im nächsten Moment spürte ich Milenas Hand an der Seite. Ich hielt sofort an.
»Das sind Polizisten«, rief sie mir zu. »Offenbar machen sie eine Verkehrskontrolle.«
Die Worte schlugen mir wie eine Faust in den Magen. Die Polizei wartete auf uns! Zwar nur die tschechische, aber es war möglich …
»Es ist nicht gesagt, dass sie unseretwegen da stehen«, sagte Milena, doch ich war misstrauisch. Auch wenn wir bisher noch nichts davon mitbekommen hatten, dass jemand nach uns suchte, war es möglich, dass die DDR -Polizei ihre Suche nach Milena auch in die ČSSR ausgeweitet hatte. Schlimmstenfalls hatten wir seit Milenas Auftauchen an der Grenze irgendwen an unseren Fersen kleben, und nur durch den Aufenthalt bei Dr. Karol waren wir dem
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