Und morgen am Meer
Lager, wollte es aber nicht rauslassen, um unser Gespräch nicht zu ruinieren.
Ich erzählte also weiter und ignorierte ihr erschrockenes Kopfschütteln, als ich zu der Aktion mit dem Zigarettenschmuggler kam oder dazu, dass ich Motorrad gefahren bin, obwohl ich nur den Führerschein fürs Moped habe.
Natürlich hätte ich das alles auslassen können, aber als meine Mutter hatte sie ein Recht darauf, auch meine schlechten Seiten zu kennen.
Sehr gespannt lauschte ich dann dem, was sie mir erzählte.
Nachdem sie in Hamburg angekommen war, hatte sie wieder eine Stelle als Krankenschwester angenommen und in Eppendorf gearbeitet. Da sie immer noch gehofft hatte, uns zu sich rüberholen zu können, hatte sie jeden Versuch, sich neu zu verlieben, abgeblockt. Doch dann war es doch passiert, in den Jahren, als sie die völlige Hoffnungslosigkeit überkommen hatte. Die Beziehung hielt nicht lange. Mittlerweile arbeitete sie nicht mehr als Krankenschwester, sie unterrichtete an einer beruflichen Schule angehende Krankenschwestern. Meine Mutter, eine Lehrerin! War das zu glauben!
Auf jeden Fall hörte sich das, was sie aus Hamburg erzählte, sehr gut an, und ich war neugierig, die Stadt, von der Onkel Erwin so viel erzählt hatte, mit eigenen Augen zu sehen und den Schiffen beim Auslaufen in die Welt zuzuschauen.
Ich war neugierig darauf, zu sehen, wie sie lebte – und auf den Radioempfang in der Stadt, denn davon, Kassetten aufzunehmen, würde ich nicht abrücken!
Irgendwann am Morgen wurde ich dann so müde, dass ich meine Augen nicht mehr offen halten konnte. Meine Mutter verabschiedete sich zuvor von mir und versprach mir, sich so oft zu melden, wie es ging. So lange sollte ich hier aushalten – und mir schon mal überlegen, an welche Schule ich ab Herbst gehen wollte –, denn das Schuljahr würde bald beginnen. Wir versprachen uns gegenseitig, auf uns aufzupassen, dann verließ sie mich wieder.
In dieser Nacht sah ich Onkel Erwin wieder im Traum, wie er mir ein neues Radio schenkte.
Heroes
29./30. September 1989
Milena
Etwas über einen Monat waren wir nun hier, mittlerweile war die Botschaft zu unserer zweiten Heimat geworden. Und nicht nur für uns. Tausende DDR -Bürger hatten sich in der Hoffnung hier einquartiert, dass die Bundesregierung ihnen helfen würde.
Kaum zu glauben, dass so viele Menschen in das Palais und den Schlossgarten passten! Es hatte zuerst damit begonnen, dass die Zimmer in der Botschaft so weit belegt wurden, wie es nur ging. Ich bekam drei Frauen und zwei Mädchen mit ins Zimmer, die aus Cottbus und Leipzig stammten. Auch Claudius bekam ein paar ledige Männer unterschiedlichsten Alters dazu. Auf den Gängen spielten bald die Kinder, während das Personal der Botschaft versuchte, den Betrieb so gut wie möglich weiterzuführen.
Als der Platz in der Botschaft nicht mehr reichte, wurden draußen Zelte aufgestellt. Täglich kamen neue Flüchtlinge. Teilweise versuchten die tschechischen Polizisten, die Flüchtlinge zurückzuzerren, doch vergeblich. Jene, die es an einer Stelle nicht geschafft hatten, kamen an einer anderen wieder.
Die Zustände waren dementsprechend chaotisch. Die sanitären Anlagen der Botschaft reichten für so viele Menschen nicht aus, und schließlich sah sich der Botschafter gezwungen, sein Büro in ein anderes Gebäude in Prag zu verlegen, damit er wenigstens einigermaßen seiner Arbeit nachgehen konnte.
Glücklicherweise waren unter den Flüchtlingen auch einige Krankenschwestern und sogar ein Arzt, der sich mit Unterstützung des Botschaftspersonals um die Flüchtlinge kümmerte. Dennoch hatten alle davor Angst, dass hier eine Seuche ausbrechen würde.
Forderungen wurden laut, dass die Regierungen endlich einschreiten sollten. Doch nichts tat sich.
Auch bei uns schien sich nichts zu bewegen. Das neue Schuljahr hatte in der DDR begonnen, eigentlich hätte ich auch wieder zur Schule gehen müssen, doch das ging nicht. Um nicht ganz aus der Übung zu kommen, versuchte ich in der Botschaft, irgendwelche Bücher ausfindig zu machen und zu lesen, oder ich stellte mir selbst Matheaufgaben. Irgendwie war es Claudius gelungen, Schreibhefte für mich aufzutreiben, in denen ich nun freiwillig Mathe übte oder Dinge aufschrieb, an die ich mich aus dem Unterricht noch erinnern konnte.
Mittlerweile hatte Claudius auch seinen Eltern geschrieben und wenigstens ansatzweise zu erklären versucht, was passiert war und warum er das alles getan hatte.
Die Antwort ließ nicht
Weitere Kostenlose Bücher