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Und morgen am Meer

Und morgen am Meer

Titel: Und morgen am Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corina Bomann
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wollte.
    Ich blickte auf den Buchdeckel, den Lorenz mit kleinen graffitiähnlichen Zeichnungen verziert hatte. Was hätte der alte Goethe zu solchen Illustrationen gesagt?
    Ich wollte das Buch gerade aufschlagen, da fragte eine Stimme hinter mir: »Milena?«
    Ich zuckte zusammen, als würde mich jemand bei etwas Verbotenem ertappen. Die Stimme war mir völlig unbekannt. Schritte tappten durch das Gras, dann stellte er sich vor mich.
    In dem Augenblick war ich einfach zu verdattert, um etwas zu sagen. Es war der Junge aus der U-Bahn! Der, der gegen die dicke Frau gesprungen war. Der mit den wunderschönen braunen Augen.
    »Bist du Milena?«
    »Ja … die bin ich.« Was wollte er von mir? Und woher kannte er meinen Namen?
    Er schob die Hand in die Hosentasche und zog etwas hervor. Eine Kassette! »Hier, die gehört wohl dir. Du hast sie gestern in der U-Bahn verloren.«
    Verrückt! War das wirklich meine Kassette?
    »Ähm, ja, ich …«, stammelte ich, während ich gar nicht die Hand ausstrecken mochte.
    »Na, nimm schon!«, sagte er und streckte mir die Kassette hin.
    Meine Liedersammlung für Sabine!
    »Danke.« Als sich unsere Hände kurz berührten, zuckte ich zusammen. Keine Ahnung warum, denn seine Finger waren warm und weich. Meine hingegen waren auf einmal eiskalt.
    »Du hast ja heute gar nicht deine blaue Bluse an«, stellte er lächelnd fest, als ich die Kassette in die Tasche geschoben hatte.
    Blaue Bluse? Hörte ich richtig? Er muss doch das Emblem am Ärmel gesehen haben! Oder wollte er mich auf den Arm nehmen?
    »Ja, wieso, es ist doch Dienstag!«
    Er sah mich völlig verdattert an. »Ich … ich dachte, ihr tragt die jeden Tag …«
    Ich zog die Augenbrauen hoch. Das musste doch ein Scherz sein, es sei denn, er … Aber war das möglich?
    »Ty goworisch po-russky?«, fragte ich ihn auf Russisch.
    »Was?« Sein rechter Mundwinkel zuckte. Entweder hielt er mich jetzt für verrückt, oder …
    »Ich hab dich gefragt, ob du Russisch sprichst. Nee, oder?«
    Der Junge lachte unsicher. »Nein … nein, das spreche ich nicht. Aber Englisch und Französisch.«
    Ich schüttelte ungläubig den Kopf. Das konnte doch nicht wahr sein!
    »Wie heißt du eigentlich?«, fragte ich weiter. »Und woher kommst du?«
    »Claudius«, antwortete er und zögerte. Sah mich an, als müsste er sich gut überlegen, wie er meine zweite Frage beantwortete. »Ich komme aus Zehlendorf. Drüben.«
    »Du bist aus dem Westen?«, presste ich hervor, und gleich darauf war’s mir peinlich.
    »Ja, das bin ich.«
    Ein Gedanke blitzte in mir auf. Womöglich hatte ich es hier mit einem Typen von der Stasi zu tun, der meine Kassette in die Finger bekommen hatte und mich nun aushorchen wollte.
    »Echt? Kannste das beweisen?«
    Claudius griff lässig in seine Hosentasche und zog eine verbogene Geldbörse hervor. Aus dieser zauberte er ein etwas abgewetzt aussehendes graues Heftchen, auf dem unter dem aufgedruckten Adler der Schriftzug »Personalausweis« stand – und über dem Vogel stand: Bundesrepublik Deutschland!
    »Ist der echt?«
    »Ich glaube schon? Jedenfalls hat mir bisher noch keiner gesagt, dass er falsch ist. Wenn du willst, kannst du auch noch meinen Führerschein sehen.«
    »Nee, ich glaub dir schon.« Jetzt musste ich erst mal nach Luft schnappen. Der Klassenfeind! Direkt vor meiner Nase! Gut aussehend, gut duftend und obendrein offenbar sehr nett. Was Sabine dazu sagen würde? Oder besser noch unser Stabü-Lehrer! Ich wusste ja, dass Westdeutsche nicht bissen, aber …
    »Und wie …« Nein, du fragst ihn jetzt nicht, wie er hierher gekommen ist. Es war doch klar, dass er ganz einfach hier eingereist ist, wahrscheinlich über den Bahnhof Friedrichstraße. Wir konnten das nicht, die drüben schon.
    »Ich war gestern mit ein paar Kumpels in der Stadt unterwegs und …« Auf einmal wurde er rot. Doch nicht Herr Selbstsicher? »Auf jeden Fall war ich in deiner Bahn und habe mitbekommen, dass du die Kassette verloren hast. Allerdings warst du da schon raus und der Zug fuhr wieder an. Als ich wieder hier war, warst du weg, ich hab dich jedenfalls nicht mehr gefunden.«
    Ich musste mich zwingen, die Kassette nicht wieder aus der Tasche zu ziehen und sie anzustarren. »Du bist also extra noch mal hergekommen, um mich zu suchen?«
    Claudius nickte und schob dann die Hände in die Taschen seiner Jeans. »Ich dachte mir, du würdest an der Kassette hängen. Sie ist bestimmt von deinem Freund, oder?«
    Warum wollte er das wissen? Und

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