Und morgen am Meer
hierher?«, fragte er, sah dann aber mich an, als wüsste ich es. Ich jedoch hatte keine Ahnung. Wegen meiner Wandzeitung kam sie bestimmt nicht. Dafür hätte sie mich noch am Zeugnistag fertigmachen können. Hatte es vielleicht irgendwas mit der EOS zu tun? Es hieß, dass die Lehrer da manchmal kamen und mit den Eltern sprachen, ob die Bereitschaft bestand, das Kind auf die weiterführende Schule gehen zu lassen. Doch auch diese Besuche fanden während der Schulzeit statt.
Frau Heinrich biss sich auf die Lippe. »Können wir uns irgendwo hinsetzen?«, fragte sie dann. »Ich möchte das nicht zwischen Tür und Angel besprechen.«
»Aber sicher«, sagte Papa und bedeutete ihr dann, dass sie in die Küche gehen solle. Das war der Ort, wo wir Besucher empfingen, die nicht willkommen waren, aber das wusste sie ja nicht.
»Herr Paulsen, ich bin wegen Ihrer Tochter hier«, begann Frau Heinrich zögernd, nachdem sie sich auf dem Küchenstuhl niedergelassen hatte.
Papa sah fragend zu mir. »Was gibt es denn?«, fragte er dann. »Stimmt etwas mit ihrem Zeugnis nicht?«
Als ob ich eine von denen wäre, die ihr Zeugnis fälschen!
»Nein, das Zeugnis ist in Ordnung. Es ist nur so … dass ich mir über die Zukunft Ihrer Tochter Sorgen mache.«
Frau Heinrichs Wangen glühten nun dunkelrot.
Sie wechselte einen nervösen Blick zwischen mir und Papa, schien nicht so recht zu wissen, was sie tun oder sagen sollte.
»Warum machen Sie sich denn Sorgen um meine Tochter?«, fragte Papa, während er mich fixierte, als hätte ich irgendwas verbrochen. »Hat sie etwas angestellt, von dem ich nichts weiß?«
Die Frage galt wohl eher mir, aber mir fiel nichts ein, was ich getan haben sollte. Meinte sie vielleicht, dass ich mit Lorenz gesprochen hatte?
»Der Direktor will sie morgen sprechen. Es geht darum, dass man der Annahme ist, sie habe Kontakte zu irgendwelchen staatsfeindlichen Elementen.«
Ich zog die Augenbrauen hoch. »Staatsfeindliche Elemente?«, fragte ich, doch Papas Blick brachte mich zum Schweigen.
»Auf jeden Fall soll es morgen eine Anhörung geben. Um dreizehn Uhr.«
Papa sagte nichts darauf. Und ich verstand die Welt nicht mehr.
»Frau Heinrich, was meinen Sie?«, fragte ich, während ich meine Hände ins T-Shirt krallte. »Habe ich irgendwas Falsches auf die Wandzeitung geklebt? Oder wollen Sie nicht mehr, dass ich mit Lorenz rede? Ist irgendwas mit Lorenz?«
Ich dachte an den Zettel, den er vom Direktor bekommen hatte.
»Ich kann dir leider nichts dazu sagen, da musst du die Anhörung abwarten.«
Jetzt fiel es mir ein. Claudius’ Brief! Irgendwie mussten sie mitbekommen haben, dass er mir geschrieben hatte. Die Geschichten der Leute stimmten.
Ich sah wieder zu meinem Vater. Der blickte starr an mir vorbei, als würde er an der Wand hinter mir etwas wahnsinnig Interessantes sehen.
»Na, dann gehe ich mal besser wieder«, sagte Frau Heinrich, als ihr das unangenehme Schweigen zu viel wurde, und erhob sich. Ich hätte sie am liebsten mit Fragen gelöchert, doch ich spürte, dass sie mir keine Antwort darauf geben wollte – und vielleicht auch nicht konnte. Sie war nur vorgeschickt worden wie ein Bote.
Als sie fort war, packte Papa mich bei den Armen.
»Was hast du angestellt?«, fragte er, und ich spürte, wie er dabei zitterte.
»Nichts«, antwortete ich und wollte mich aus seinem Griff losmachen, doch das ließ er nicht zu.
»Warum war die Heinrich dann hier? Warum musst du morgen zum Direktor?«
»Das weiß ich doch nicht!«, antwortete ich trotzig, obwohl ich es wusste. Es war der Brief. Nichts anderes. Aber zu meinem Vater sagte ich: »Wahrscheinlich wollen sie was über einen Jungen in meiner Klasse wissen. Lorenz, den kennst du doch.«
»Den dreckigen kleinen Herumtreiber? Was hast du mit dem zu schaffen?«
Ich hätte ihm am liebsten gesagt, dass Lorenz mein Freund war und klug und kein Herumtreiber. Dass er mit seinen schmutzigen und zerrissenen Klamotten nur gegen die Spießigkeit der Erwachsenen rebellierte. Doch das wäre ein großer Fehler gewesen, das wusste ich.
»Ich kenne ihn nur aus der Schule«, antwortete ich. »Mit seinen Klassenkameraden redet man eben.«
Mein Vater schüttelte mich kurz, als wäre ich ein trotziges kleines Kind. »Sei ehrlich, was habt ihr beide angestellt? Seid ihr irgendwohin gegangen, wo ihr nicht hingehen solltet? Habt ihr euch an der Mauer rumgetrieben? War dieser Lorenz etwa in der Kirche bei diesen Hippies?«
Hippies? Wer gebrauchte denn dieses
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