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Und morgen am Meer

Und morgen am Meer

Titel: Und morgen am Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corina Bomann
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jetzt etwas gegen die Wand geworfen. Nicht nur weil mir klar war, dass er Milena nie mögen würde. Auch deshalb, weil er in einem Punkt recht hatte: Wenn nicht irgendwas geschah, würde sie hinter dem Eisernen Vorhang nie hervorkommen.
    An diesem Morgen sollte es losgehen. Gestern hatte ich Max in meinen Plan eingeweiht.
    Zunächst war er entsetzt und meinte, dass ich komplett durchgeknallt sei, doch dann beruhigte er sich wieder – und gab mir nicht nur wertvolle Hinweise zum Transit und dem Grenzübergang, sondern brachte mir auch ein Buch, in dem es um gelungene Fluchten aus der DDR ging. Es handelte sich um Berichte von Studenten, die in den 60er-Jahren ostdeutsche Kommilitonen rübergeholt hatten.
    »Wenn ich könnte, würde ich meinen Onkel und meine Tante aus Ostberlin
rausholen
«, sagte er beim Abschied. »Pass ja auf dich auf und melde dich, sollte es brenzlig werden. Ich werde dafür sorgen, dass
sie dich
da
rausholen

    Damit umarmten wir uns noch einmal, und nachdem ich ihm das Versprechen abgenommen hatte, meinem Vater nichts zu sagen, kehrte ich nach Hause zurück.
    Dort vertiefte ich mich in das Buch. Die dort beschriebenen Fälle lagen schon viele Jahre zurück, doch das war mir in meiner Lage egal.
    Ich verschlang regelrecht die Berichte ehemaliger Studenten aus der Freien Universität, die ihr Leben und ihre Freiheit aufs Spiel gesetzt hatten, um kurz nach dem Mauerbau ostdeutsche Kommilitonen nach Westberlin zu holen.
    Als ich bei einer Passage ankam, die von der Flucht durch S-Bahn-Tunnel handelte, hatte ich plötzlich Lorenz wieder vor Augen. Ob die Platte wohl noch immer unverschraubt war, wie er sie zurückgelassen hatte? Vielleicht hatte die Stasi aber Zugang zu irgendwelchen Schraubenvorräten …
    Besser wäre es natürlich, wenn ich wie immer über die Friedrichstraße einreisen würde.
    Von Max wusste ich jedoch, dass mein Visum registriert wurde. Wenn ich nicht spätestens einen Tag darauf wieder bei den Grenzern antanzte, würde man nach mir fahnden. Genau das wollte ich vermeiden!
    Wenn ich Milena in die Freiheit, ans Meer bringen wollte, durfte niemand wissen, dass ich einen Fuß auf das Gebiet der DDR gesetzt hatte.
    Den ganzen Vormittag verbrachte ich mit Packen. In meinen Rucksack, der mich schon bei Touren durch Südfrankreich und Italien begleitet hatte, steckte ich alles, was man für einen längeren Aufenthalt im Freien brauchte. Neben ein paar Klamotten wanderten Verbandszeug, Taschenlampe, Batterien und ein Taschenmesser in den Rucksack. Außerdem verstaute ich in verschiedenen Taschen etwas Geld, das ich mittlerweile von meiner Arbeit angespart hatte.
    Frau Kraushahn und ihr kleiner Hund kamen mir wieder in den Sinn. Sie hatte den Mut gehabt, das Tier, das über eine Mauer geworfen werden sollte, zu retten. Ich war sicher, dass sie sich, wenn es nötig gewesen wäre, auch mit einem DDR -Grenzer angelegt hätte.
    Als mein Gepäck bereit war, versteckte ich den Rucksack in meinem Kleiderschrank und ging runter in die Garage. Von dort holte ich meine Gitarre nach oben – während meiner Abwesenheit wollte ich sie in Sicherheit wissen. Die restlichen Stunden bis zum Abend verbrachte ich damit, einen schon etwas älteren Streckenplan der BVG zu studieren. Auf diesem waren ein paar neuere Haltestellen nicht enthalten, aber immerhin zeigte er die Geisterbahnhöfe auf der Ostseite an, an denen nicht gehalten wurde.
    Ich wartete, bis alles still im Haus war, dann erhob ich mich von der Liege. Es wurde Zeit. Zeit, von hier abzuhauen.
    Nachdem ich mich umgezogen und den Rucksack aus dem Schrank geholt hatte, warf ich noch einen letzten Blick auf mein Zimmer. Beinahe kam es mir so vor, als würde ich genau in diesem Augenblick meine Kindheit wirklich hinter mir lassen. Weder bei der Konfirmation noch beim Abiball hatte ich dieses Gefühl gehabt, aber jetzt. Wann würde ich diesen Raum wiedersehen? Schlimmstenfalls sehr lange nicht oder niemals mehr.
    Im nächsten Augenblick überkamen mich Zweifel. Was, wenn Milena nicht mitwollte? Wenn sie mich wieder wegschickte? Daran hatte ich ehrlich gesagt noch nicht gedacht, und davor hatte ich richtig Schiss, denn ich musste dann versuchen, nach Westberlin zurückzukehren. Mit dem fehlenden Stempel auf dem Berechtigungsschein nahezu ein Ding der Unmöglichkeit. Schlimmstenfalls musste ich dann über Ungarn, wie ein DDR -Flüchtling. Aber so weit wollte ich nicht denken.
    Leise zog ich meine Zimmertür zu und schlich nach unten. Der

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