Und morgen am Meer
von der Grenze, an der ich beinahe hängen geblieben wäre. Also fuhren wir ein Stück die Straße entlang und bogen dann in einen Waldweg ab.
Hier war es ziemlich unheimlich, auch hatten wir nicht mehr genügend Licht, um unser Zelt aufzubauen. Im Schein von Milenas Taschenlampe konnten wir nur unsere Schlafsäcke und Decken entrollen.
»Wo unter seinem Sitz?«, fragte Milena weiter. Wahrscheinlich würde sie mich nicht eher schlafen lassen, bis ich ihr alles erzählt hatte.
»Er hatte da so eine Spezialvorrichtung drunter gebaut. Von außen war nichts zu sehen, von unten auch nicht. Keine Ahnung, wie er das hingekriegt hat, aber er hat auf einer Art Box gesessen. Einer Box, in der er haufenweise Zigarettenstangen über die Grenze schmuggelt.«
»Und wie biste gerade an einen Schmuggler geraten?«
»Keine Ahnung, ich bin einfach zu dem Ersten gegangen, der weit genug von der Grenze weg stand. Du hattest ja gemeint, ich sollte es mit der Hilfsbereitschaft meiner Landsleute probieren.«
»Hm«, machte Milena daraufhin. »Was soll ich jetzt von dir halten? Dass du eine kriminelle Ader hast, die dich andere Kriminelle aufspüren lässt?«
»Quatsch!«, entgegnete ich. »Ich hatte Glück, nichts weiter. Hätte er mich weggescheucht, wäre ich eben zu ’nem anderen gegangen.«
»Ein Schmuggler!« Ich spürte, dass Milena den Kopf schüttelte. »Vielleicht sollte sich der Mann als Fluchthelfer anstellen lassen.«
»Glaube kaum, dass er dazu Bock hätte. Die ganze Zeit, als wir zur Grenze fuhren, hat er mir immer wieder gedroht, dass er mir die Ohren langziehen würde, wenn er meinetwegen in den Knast käme. Glücklicherweise waren die Grenzer da schon müde, laut dem Fahrer standen sie kurz vor Schichtwechsel. Sie haben sich zwar die Ladung angeschaut und den Fußraum der Kanzel, außerdem sind sie mit Spiegeln unter den Laster gegangen und haben Hunde schnüffeln lassen. Aber die hatten glücklicherweise keine Nase für meine alten Socken.«
Milena lachte und ich lachte mit. Ich zog sie an mich, küsste sie und hielt sie fest. Was für ein tolles Gefühl. Nach den Strapazen unter dem Sitz des Fahrers wusste ich nun wieder, wie sich Leben wirklich anfühlte.
»Weißt du, deine Flucht unter dem Sitz wäre echt was für meinen Roman.«
»Du willst einen Roman schreiben?«, fragte ich. Eigentlich war ich todmüde, aber das interessierte mich doch.
»Ja, das will ich. Einen Spionageroman. Lorenz will ihn verlegen, wenn er eines Tages in einem Verlag arbeitet.«
»Spionageroman? So was wie James Bond?«
»Ja, genau, nur dass ich den Agenten auch unter den Sitz eines Schmugglers stecke.«
»Dann lass aber den Firmennamen weg, nicht, dass mein Retter Ärger bekommt?«
»Nee, keine Sorge, ich nenne den anders. Aber die Idee ist wirklich nicht schlecht. Es sollten viel mehr Lastwagenfahrer irgendwelche Zigaretten schmuggeln, dann könnten sie immer wieder Leute mitnehmen, die sich an der Grenze nicht sehen lassen wollen.«
»Leute wie mich«, entgegnete ich. »Du hattest ja keine Probleme.«
»Stimmt auch wieder. Ob dieser Hamburger Fahrer auch nach Ungarn fährt?«
»Hab ich nicht gefragt.«
»Hättest du vielleicht tun sollen, dann hätte er uns mitnehmen können.«
Mist! Warum war mir das nicht eingefallen? Doch es gab da ein nicht unbedeutendes Hindernis.
»Und wie hätte er das Motorrad über die Grenze bringen sollen?«
»Stimmt auch wieder«, lenkte sie ein, dann spürte ich ihre Lippen auf meiner Wange.
»Du stoppelst«, sagte sie dann und kuschelte sich an mich. »Gute Nacht!«
»Gute Nacht«, wünschte ich zurück und lauschte dann noch eine Weile den Geräuschen des Waldes. Dabei wünschte ich mir, dass ich Max von all dem hier erzählen könnte. Er würde das abgefahren finden, da war ich mir sicher.
Milena
Die ganze Nacht über ließ mir Claudius’ abenteuerliche Geschichte keine Ruhe. Sogar bis in meine Träume verfolgte sie mich. Dort sah ich mich tatsächlich den schweren LKW fahren, während ich Claudius unter mir im Sitz versteckt hielt und an den Grenzern vorbeischmuggelte. Dass er, als ich den Sitz hochklappte, haufenweise Zigarettenschachteln im Arm hielt, brachte mich im Traum zum Lachen.
Am nächsten Morgen kamen wir ziemlich spät aus den Federn, erst, als der Verkehr auf der Grenzstraße wieder lauter wurde, schreckten wir hoch. Eine Weile fuhren wir in der Gegend herum, ohne richtig zu wissen, wo wir lang mussten. Unsere Straßenkarte war ziemlich lückenhaft, denn sie war
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