Und morgen in das kühle Grab
noch vor
meinem Termin mit Adrian Garner um halb zehn
besprechen konnten. Die anderen trafen nur wenige
Minuten nach mir ein, und wir gingen mit unseren
Kaffeebechern in Kens Büro. Ich glaube, wir hatten alle
das Gefühl, dass die Ereignisse sich zuspitzten, und das
nicht nur, weil Gen-stone seine Pforten geschlossen hatte.
Wir ahnten instinktiv, dass sich da draußen etwas
erbarmungslos zusammenbraute und dass wir unbedingt
am Ball bleiben mussten.
Ich berichtete ihnen zuerst, dass ich sofort ins
Krankenhaus gefahren war, nachdem ich gehört hatte, dass
Vivian Powers dort eingeliefert worden war, und ich
beschrieb ihnen den Zustand, in dem ich sie angetroffen
hatte. Es stellte sich heraus, dass Ken und Don den Fall
nun ebenfalls anders beurteilten, nur dass ihre
Schlussfolgerungen ziemlich anders ausfielen als meine.
»Für mich kristallisiert sich langsam ein Szenario
heraus, das einen Sinn ergibt«, sagte Ken, »und es ist kein
besonders schönes. Dr. Celtavini hat mich gestern
Nachmittag angerufen und gefragt, ob wir uns am Abend
bei ihm treffen könnten.« Er machte eine Pause, blickte
uns an und fuhr dann fort: »Dr. Celtavini hat gute
Verbindungen zu Wissenschaftskreisen in Italien. Er hat
vor ein paar Tagen den Tipp bekommen, dass mehrere
italienische Labors aus unbekannter Quelle finanzielle
Mittel erhalten haben, vermutlich, damit dort bestimmte
Teile der Gen-stone-Forschung nach dem Krebsimpfstoff
weitergeführt werden können.«
Ich starrte ihn an. »Welche unbekannte Quelle sollte das
finanzieren?«
»Nicholas Spencer.«
»Nicholas Spencer!«
»Das ist natürlich nicht der Name, den er benutzt hat.
Wenn das stimmt, dann könnte das bedeuten, dass Spencer
das Geld von Gen-stone verwendet hat, um die Forschung
in separaten eigenen Labors zu finanzieren. Danach
täuscht er sein Verschwinden vor. Gen-stone geht
Bankrott. Nick verschafft sich eine neue Identität,
wahrscheinlich auch ein neues Gesicht, und wird zum
alleinigen Eigentümer des Impfstoffs. Vielleicht ist ja der
Impfstoff nach wie vor viel versprechend, und er hat
bewusst die Ergebnisse verfälscht, um das Unternehmen
zu zerstören.«
»Sollte es etwa doch stimmen, dass er in der Schweiz
gesehen wurde?«, sagte ich zögernd. Das kann nicht sein,
dachte ich. Das kann ich einfach nicht glauben.
»Langsam glaube ich, es ist nicht nur möglich, sondern
auch wahrscheinlich …«, begann Ken.
»Aber Ken«, protestierte ich, indem ich ihn unterbrach,
»ich weiß, dass Vivian Powers davon überzeugt war, dass
Nick Spencer nicht mehr am Leben ist. Und ich glaube,
die beiden hatten ein echtes Liebesverhältnis.«
»Carley, gerade hast du erzählt, dass sie fünf Tage lang
verschwunden war, aber nach Meinung der Ärzte
unmöglich so lange in dem Wagen gelegen haben kann.
Was ist also passiert? Es gibt ein paar Antworten darauf.
Entweder ist sie eine großartige Schauspielerin, oder, so
weit hergeholt es vielleicht klingen mag, sie ist
schizophren. Das würde die Gedächtnislücken und die
sechzehnjährige Teilpersönlichkeit erklären.«
Ich begann mich wie der einsame Rufer in der Wüste zu
fühlen. »Ich habe ein völlig anderes Szenario vor Augen«,
sagte ich. »Jemand hat unbefugt Dr. Spencers
Aufzeichnungen bei Dr. Broderick abgeholt. Jemand hat
Röntgenaufnahmen und den Bericht über die
Kernspintomographie von Caroline Summers’ Kind
gestohlen. Und wenn man Vivian Powers glauben darf, ist
der Brief, den Caroline Summers an Nick geschrieben hat,
verschwunden, und die Antwort, die Caroline darauf hätte
bekommen sollen, wurde nie abgeschickt. Vivian hat mir
erzählt, sie hätte ihn weitergeleitet, damit eine der
Schreibkräfte sich darum kümmert. Dazu hat sie sich sehr
entschieden geäußert.«
Allmählich kam ich auf Touren. »Vivian berichtete auch,
dass Nick Spencer, nachdem die Aufzeichnungen seines
Vaters verschwunden waren, seine Termine streng geheim
gehalten hätte und dass er manchmal tagelang nicht im
Büro erschienen sei, ohne dass sie wusste, wo er war.«
»Carley, das passt doch genau zu dem, was ich
vermute«, sagte Ken nachsichtig. »Man hat
herausgefunden, dass er zwei oder drei Kurzreisen nach
Europa unternommen hat zwischen Mitte Februar und
dem 4. April, als sein Flugzeug abgestürzt ist.«
»Aber vielleicht hat Nick Spencer auch Verdacht gegen
einige Leute in seinem Unternehmen geschöpft«, sagte
ich.
»Lasst mich ausreden. Die zwanzigjährige Nichte von
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