Und morgen in das kühle Grab
der Aufzug. »Auf
Wiedersehen, Miss DeCarlo.«
»Auf Wiedersehen, Mr. Drexel.«
Es war ein Expressaufzug, mit dem ich ins Erdgeschoss
stürzte. Dort wartete ich fünf Minuten und nahm
denselben Aufzug wieder nach oben.
Diesmal brauchte ich nur Sekunden, um in die Büros
von Garner Pharmaceuticals hinein- und wieder
hinauszuschlüpfen. »Es tut mir Leid«, raunte ich der Frau
am Empfang zu. »Mr. Garner hat mich gebeten, auf jeden
Fall auf dem Weg nach draußen einige von den
ausliegenden Broschüren mitzunehmen.« Ich zwinkerte ihr
zu, von Mädchen zu Mädchen. »Verraten Sie dem großen
Mann bloß nicht, dass ich es vergessen habe.«
Sie war noch jung. »Versprochen«, sagte sie feierlich,
während ich rasch die Broschüren zusammenraffte.
Ich wollte noch einen Blick auf das Bild der
versammelten Größen von Garner riskieren, aber dann
hörte ich Charles Wallingfords Stimme auf dem Korridor
und machte mich schnell aus dem Staub. Dieses Mal ging
ich jedoch nicht direkt zum Aufzug, sondern huschte um
eine Ecke und wartete.
Nach einer Minute lugte ich vorsichtig um die Ecke und
erspähte Wallingford, der ungeduldig auf den Knopf für
den Aufzug drückte. So viel zu der wichtigen
Besprechung im Konferenzraum, Charles, dachte ich.
Wenn sie überhaupt stattfindet – du bist auf jeden Fall
nicht mit von der Partie.
Es war, so viel konnte man jetzt schon sagen, ein
interessanter Morgen gewesen.
Doch es sollte ein noch interessanterer Abend werden.
Im Taxi auf dem Weg zurück zum Büro hörte ich die
Nachrichten auf meinem Handy ab. Es war eine von Casey
dabei. Als er gestern Abend zu mir gekommen war, hatte
er gemeint, es sei zu spät, um noch in Greenwich bei den
ehemaligen Schwiegereltern von Nick Spencer, den
Barlowes, anzurufen. Aber er hatte heute Morgen mit
ihnen telefoniert. Sie würden um fünf Uhr zu Hause sein,
und er fragte, ob mir das passen würde. »Ich habe heute
Nachmittag frei«, sagte Casey am Schluss. »Wenn du
möchtest, könnte ich dich hinfahren. Dann könnte ich so
lange nebenan bei Vince einen Drink nehmen, während du
bei den Barlowes bist. Und danach gehen wir zusammen
abendessen.«
Mir gefiel diese Idee sehr gut. Manche Dinge müssen
nicht unbedingt ausgesprochen werden, aber von dem
Augenblick an, als ich gestern Abend Casey die Tür
öffnete, hatte ich das Gefühl, dass sich zwischen uns etwas
entscheidend verändert hatte. Wir wussten beide genau,
wo wir hinsteuerten, und wir waren beide froh, dorthin zu
gelangen.
Ich rief Casey kurz an, verabredete mich mit ihm um
vier Uhr und fuhr zurück ins Büro, um mit einem ersten
Entwurf für das Porträt von Nick Spencer zu beginnen. Ich
hatte schon eine Idee für den Titel: Opfer oder Gauner?
Ich betrachtete nachdenklich eines der letzten Fotos, die
vor dem Absturz von Nick gemacht worden waren. Er
gefiel mir darauf. Die Aufnahme zeigte ihn mit einem
ernsten und nachdenklichen Blick und fest geschlossenem
Mund. Es war das Bild eines Mannes, den tiefe Sorgen
plagten, der aber durch und durch glaubwürdig wirkte.
Das war das entscheidende Wort: glaubwürdig. Ich
konnte mir nicht vorstellen, dass dieser Mann, der bei
unserer Begegnung einen so gewaltigen Eindruck auf
mich gemacht hatte und der mir so ruhig aus dieser
Fotografie entgegenblickte, dass dieser Mann gelogen,
betrogen und dann seinen eigenen Tod vorgetäuscht hatte.
Dieser Gedanke ließ mich eine ganze Reihe von
Überlegungen infrage stellen, die ich bisher einfach
akzeptiert hatte. Das Flugzeugunglück. Ich wusste, dass
Nick Spencer nur wenige Minuten, bevor der Funkkontakt
unterbrochen wurde, dem Fluglotsen in Puerto Rico seine
Position durchgegeben hatte. Wegen des heftigen Sturms
glaubten jene Leute, die ihn für tot hielten, das Flugzeug
sei vom Blitz getroffen worden oder in einen Strudel
geraten. Jene Leute, die glaubten, er sei noch am Leben,
meinten hingegen, er habe sich vor dem Aufprall aus dem
Flugzeug retten können, das er entsprechend präpariert
habe.
Gab es noch eine weitere Erklärung? Wie gut war das
Flugzeug gewartet worden? Hatte Spencer irgendwelche
Anzeichen von Unwohlsein gezeigt, bevor er losflog? Bei
Menschen, die unter Stress stehen, selbst bei Männern, die
erst Anfang vierzig sind, kann es zu einem plötzlichen
Herzanfall kommen.
Ich griff zum Telefon. Es wurde Zeit, meiner
Stiefschwester Lynn einen Besuch abzustatten. Ich rief sie
an und sagte, ich würde gerne vorbeischauen, um mit ihr
zu
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