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Und morgen in das kühle Grab

Und morgen in das kühle Grab

Titel: Und morgen in das kühle Grab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Higgins Clark
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Krawatte
gelockert und den Kragenknopf geöffnet, bevor er sich
schlafen gelegt hatte, aber er hätte beides besser ganz
ausgezogen. Kragen und Krawatte sahen zerknittert und
unordentlich aus.
Es macht sowieso keinen Unterschied mehr, sagte er
sich.
Er klatschte sich kaltes Wasser ins Gesicht und schaute
erneut in den Spiegel. Das Bild war verschwommen. Statt
seines Gesichts sah er die Augen von Peg und
Mrs. Morgan, die ihn weit aufgerissen und voller Angst
anstarrten; genau wie in dem Moment, als die beiden
Frauen erkannt hatten, was mit ihnen geschehen würde.
Dann tauchten Bilder von Mrs. Schafley und den
Harniks im Spiegel auf. Auch ihre Augen waren voller
Panik. Sie wussten, dass ihnen etwas zustoßen würde. Sie
spürten, dass er hinter ihnen her war.
Es war zu früh, um nach Greenwood Lake zu fahren. Es
war sogar besser, wenn er die Garage nicht vor zehn Uhr
verließ – das würde bedeuten, dass er gegen Viertel nach
elf dort eintreffen würde. Es war nicht besonders klug
gewesen gestern Nacht, die ganze Zeit in derselben
Gegend herumzufahren und abzuwarten, dass die Harniks
nach Hause kämen. Die Bullen hätten auf ihn aufmerksam
werden können.
    Der Sprudel war nicht mehr kalt, aber das war ihm egal.
Von den Brezeln wurde er ausreichend satt. Er brauchte
nicht einmal das Brot und die Erdnussbutter oder die
Cornflakes. Er schaltete das Autoradio ein. Weder in den
Neun-Uhr- noch in den Halb-zehn-Uhr-Nachrichten wurde
etwas über eine neugierige Hausbesitzerin in Yonkers
berichtet, die man erschossen aufgefunden hatte. Die
Bullen hatten wahrscheinlich bei ihr geklingelt, gesehen,
dass ihr Wagen nicht da war, und gedacht, dass sie
jemanden besuchen gefahren war, überlegte Ned.
    Morgen allerdings könnte es sein, dass sie neugieriger
werden. Und morgen könnte auch ihr Sohn anfangen, sich
zu wundern, warum er nichts von ihr gehört hatte. Aber
das würde erst morgen sein.
    Um Viertel vor zehn öffnete Ned das Garagentor.
Draußen war es kühl, aber es war diese angenehme Kühle,
die sich oft nach einem langen, sonnigen Tag einstellt. Er
beschloss, sich ein bisschen die Beine zu vertreten.
Er ging den Weg durch das Wäldchen, bis er zum
englischen Garten gelangte. Dahinter befand sich das
    Schwimmbecken.
Plötzlich hielt er inne. Was war das?
    Am Gästehaus waren die Rollläden heruntergelassen,
aber unter den Ritzen schien Licht hindurch. Da war
jemand im Haus.
    Die Leute, die hier angestellt waren, konnten es nicht
sein, dachte er. Die hätten versucht, ihr Auto in der Garage
abzustellen. Sich im Schatten haltend, ging er am
Schwimmbecken vorbei, umrundete die Nadelbäume und
näherte sich vorsichtig dem Gästehaus. Er bemerkte, dass
einer der Rollläden an der Seitenfront nicht ganz
geschlossen war. Sich so geräuschlos bewegend wie
damals, als er im Wald den Eichhörnchen auflauerte,
schlich er sich an das Fenster heran und bückte sich.
    Drinnen sah er Lynn Spencer auf einem Sofa, einen
Drink in der Hand. Derselbe Typ, den er in jener Nacht die
Auffahrt hatte hinunterrennen sehen, saß ihr gegenüber. Er
konnte nicht hören, was sie sagten; aber nach beider
Gesichtsausdruck zu urteilen, schienen sie besorgt zu sein.
    Hätten sie zufrieden ausgesehen, wäre er sofort
zurückgelaufen, um sein Gewehr zu holen, und hätte sie
gleich hier erledigt, noch heute Abend. Aber der Umstand,
dass sie so unruhig und voller Sorge wirkten, gefiel ihm.
Er wünschte, er könnte hören, worüber sie redeten.
    Lynn sah aus, als ob sie vorhätte, eine Weile zu bleiben.
Sie trug Hosen und einen Pullover, die Art von
Freizeitkleidung, die reiche Leute auf dem Land trugen.
»Casual« – »zwanglos« – das war der Ausdruck. Annie
musste immer lachen, wenn sie etwas über »zwanglose
Kleidung« las: »Alle meine Kleider sind zwanglos, Ned.
Ich trage eine zwanglose Schwesternuniform, wenn ich
Tabletts trage. Ich trage zwanglose Jeans und T-Shirts,
wenn ich putze. Und wenn ich im Garten arbeite, habe ich
sowieso zwanglose Sachen an.«
    Dieser Gedanke machte ihn wieder traurig. Als das Haus
in Greenwood Lake weg war, hatte Annie ihre
Gartenhandschuhe und Gartenwerkzeuge in den Müll
geworfen. Sie hatte nicht mehr zugehört, als er immer
wieder versprach, ihr ein neues Haus zu kaufen. Sie hatte
nur noch geweint.
    Ned wandte sich vom Fenster ab. Es war spät. Lynn
Spencer würde das Haus nicht mehr verlassen. Sie würde
morgen noch hier sein. Dessen war er sich

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