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Und morgen seid ihr tot

Und morgen seid ihr tot

Titel: Und morgen seid ihr tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Widmer; David Och
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Pakistan geflüchtet und in extremer Armut und prekären Verhältnissen aufgewachsen. Sie sind Kinder von Menschen, die alles zurückgelassen haben, was ihnen je wichtig war. Alles außer dem religiösen Glauben. Diese Generation ist in Hunger, Not, ohne Bildung, ohne Lebensperspektive, ja oft sogar ohne Frauen groß geworden, in einer reinen Männerwelt, die von einem Überfluss an Waffen und der ständigen Bedrohung durch ausländische Mächte geprägt war. Alles, was sie hatten, waren Waffen und der Koran. Daraus ist eine explosive Mischung entstanden. Manchmal, wenn wir die Kraft dazu aufbringen, verstehen wir fast, dass sie gegen die fremden Invasoren kämpfen wollen, die immer neue Marionettenregime in Afghanistan und Pakistan einsetzen und mit Waffengewalt versuchen, das Paschtunenterritorium unter Kontrolle zu bringen, wobei sie immer seltener mit Bodentruppen agieren und immer häufiger mit Bomberverbänden und Drohnen.
    Diese Menschen haben nie eine Schule besucht, nicht lesen und schreiben gelernt. Die extreme Form der Scharia verbietet ihnen die Nutzung von Fernsehen und Internet. Sie wissen nichts über Geschichte oder Geografie. Ihr Wissen stammt aus den Erzählungen der Eltern und Großeltern sowie von den Mullahs. USA , Sowjetunion, Russland, das britische Empire, die NATO , das sind durchweg Synonyme für Fremdherrscher, die Krieg und Zerstörung bringen. Dass wir als Schweizer in diesen Konflikten eine neutrale Rolle spielen, können wir erst recht nicht begreiflich machen. Wir haben die Haut von Amerikanern, wir essen Würstchen und Ketchup wie die Amerikaner, und wir beherrschen die Sprache der Amerikaner.
    Immer wieder hören wir, wie die von Drohnen abgeschossenen Raketen in ein Auto oder ein Haus einschlagen. Locke stellt dann den Funk an und erfährt meist recht schnell, welches Ziel getroffen wurde. Die Taliban warten einige Zeit, ehe sie an den Schauplatz fahren, denn meist schlägt nach etwa einer Viertelstunde eine zweite Rakete ein, die die Helfer töten soll. Da wir zentral untergebracht sind, detonieren die Geschosse oft in unmittelbarer Nähe. Und wir wissen, dass jeder Besuch eines ranghohen Taliban wie Nazarjan oder Wali akute Gefahr bringt.
    Über bestimmte Dinge rede ich nicht mehr mit David, weil es zu zermürbend ist, aber ich merke, dass auch er immer häufiger über den Tod nachdenkt. Er hat nicht mehr die Kraft, die Wahrheit auszublenden. »Wenn sie wollen, erschießen sie uns, Daniela«, sagt er einmal. Und wenn uns unsere Bewacher nicht absichtlich erschießen, dann vielleicht versehentlich die amerikanischen Drohnen oder das pakistanische Militär. Oder wir fangen uns einen exotischen Krankheitserreger ein, gegen den unser Körper keine Abwehrkräfte hat. In der Zeitung haben wir von einem neuen Gelbfiebererreger gelesen, der sich über verschmutztes Trinkwasser ausbreitet. Die Innenwände unserer Zisterne sind mit Moos, Schmutz und toten Insekten überzogen, die oft genug aus dem Wasserhahn schießen. David schlägt vor, dass wir sie reinigen. Er hat bereits das Zimmer und den ganzen Innenhof geputzt, ich habe meine Tasche, die ich seit der Entführung nicht mehr hatte in die Hand nehmen wollen, gewaschen.
    Die Katzen sind versorgt, unser Fitnessprogramm absolviert. Es gibt sonst nichts Sinnvolles zu tun. Die Zisterne ist an das Waschgebäude angemauert, etwa zwei Meter hoch und hat einen quadratischen Grundriss von 1,7   Metern Kantenlänge. David entblößt seinen Oberkörper, steigt mit mir über die Mauer, und wir lassen uns in das kühle Wasser hinab. Die Bewacher, die nicht schwimmen können, schauen sprachlos zu. Ich spüre den angenehmen Druck von den Zehenspitzen bis an die Schläfen, die Kälte treibt meinen Herzschlag an, eine unbändige Lebensfreude jagt plötzlich durch alle Fasern meines Leibes. Wir tauchen hinab, umarmen uns und fühlen uns wie in der Aare, wenn wir uns von den großen Kieseln abstoßen und von der sanften Strömung ziehen lassen. Das kühle Süßwasser auf der nackten Haut, der algige Geruch und Davids vertrauter Körper … Es herrscht Stille, wir sind ganz für uns.
    Da betritt Nase den Hof. Der »Chef«, dessen Auftritt die Jailer jedes Mal in Aufregung versetzt, kommt durch den Tunnel. Dieser führt, wie gesagt, direkt an der Zisterne vorbei, wo wir inzwischen das Wasser abgelassen haben und gerade mit Bürsten und Schiefersplittern die Innenwände abschaben. Gewöhnlich ist Nase in Schneeweiß gehüllt, heute trägt er Himmelblau,

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