Und Nachts die Angst
Einsiedler entdeckt«, murmelt eine Unfallschwester. »Ich hab gesehen, wie sie sie reingebracht haben.«
Das Krankenhaus ist eine einzige Gerüchteküche. Es heißt, dass beide Mädchen unterernährt, dehydriert und sexuell traumatisiert sind. Diejenigen, die in der Position wären, Einzelheiten über den Gesundheitszustand der Opfer zu bestätigen, reden nicht, aber jemand, der behauptet, Insider-Informationen zu besitzen, erzählt, dass beide Mädchen Brandwunden aufweisen, die eindeutig von Zigaretten stammen und in einem ähnlichen Muster angeordnet sind.
»Oh, mein Gott«, stöhnt eine Schwester. »Als hätte man sie gebrandmarkt. Wie entsetzlich.«
Poe saugt jedes Detail auf.
Er hat einen Tipp bekommen und war bereits frühzeitig hier, und zwar schon kurz nachdem Abbys Familie halb wahnsinnig vor Erleichterung ins Krankenhaus gestürmt war. Zu gerne hätte er miterlebt, wie sie lachend und weinend ihre Tochter umarmt hatten, darauf bedacht, nicht an die Schläuche in den Armen zu stoßen, und vor den hervorstehenden Knochen und den tierischen Ausdünstungen erschraken.
Während beide Mädchen medizinisch versorgt werden, liegen ihre Entführer bereits im Leichenschauhaus. Poe kennt die Namen der Täter noch nicht, aber es kann nicht mehr lange dauern.
Bisher kann er nur spekulieren, dass das Hostage Rescue Team sich mit Plastiksprengstoff den Weg in die Häuser freigebombt hat, die Entführer im anschließenden Feuergefecht getötet wurden und die Mädchen weinend und angekettet in ihren jeweiligen Verliesen gefunden worden sind. Aber er braucht Einzelheiten. Eine Bestätigung seiner Vermutungen.
Hannah Creighton verwirrt ihn besonders. Ein Rettungssanitäter schwört, dass sie mit ihren Eltern im Schlepptau eigenständig in die Ambulanz marschiert ist – dass sie also schon vorher irgendwie ihren Weg nach Hause gefunden hat. Aber wie? Wie ist sie entkommen? Poe gelingt es nicht, sich eine Erklärung dafür zurechtzustricken.
Noch einmal schleicht er sich unauffällig durch den Gang zur Intensivstation, aber ein Wachmann blockiert die Tür. »Versuchen Sie es gar nicht erst, Mann.«
Poe tritt den Rückzug an, wendet sich um und kommt zu dem Schluss, dass er ebenso gut nach Hause gehen kann. Er hat Unmengen an Neuigkeiten für sein Blog, und für einige Zeitungsspalten reicht es auch. Morgen um diese Zeit hat er, wenn er am Ball bleibt, vielleicht endlich genug, um sein Buch zu beenden. Aber es gibt noch eine Quelle, die er anzapfen muss, bevor er Feierabend macht. Seine beste Quelle. Jemand, der ihn mit Informationen versorgt, die pures Gold sind.
Die E-Mails haben einen maskulinen Tonfall, aber er geht davon aus, dass deartige Insiderinfos nur von der Pressestelle der Polizei kommen können, und da praktisch ausschließlich Frauen in diesen Jobs sitzen, vermutet Otis, dass es sich bei dem Decknamen Duke nur um eine Irreführung handelt. Ihm soll es recht sein. Otis Poe würde seine Quellen niemals verraten, egal was Jackie Burke von ihm denkt.
71. Kapitel
Zwei Tage später
D er Kakao bleibt unberührt stehen und wird kalt, während Reeve LeClaire Otis Poes langen Artikel auf der Titelseite des Jefferson Express liest. »Das Ganze ist so schräg«, sagt sie, während sie sich die Schläfen reibt, »dass mir der Kopf davon weh tut.«
Dr. Ezra Lerner streckt den Arm aus und tätschelt ihr geistesabwesend die Schulter. Er liest die Nachrichten auf seinem Handy.
Sie und Dr. Lerner haben sich in eine ruhige Ecke der Hotellobby zurückgezogen, wo man den Fernseher der Lounge kaum noch hört. Sie haben bereits gepackt und ausgecheckt. Alle paar Minuten entdeckt einer von beiden irgendein neues verblüffendes Informationshäppchen, das es zu kommentieren gilt.
»Schauen Sie sich das mal an«, sagt Reeve und zeigt auf eine Spalte. »Ich fass es einfach nicht. Man hat das Gewehr in seinem Schrank gefunden. Mit dem Vanderholt erschossen worden ist.«
»Im Ernst?« Dr. Lerner wirft einen Blick auf die Zeitung, scrollt aber gleichzeitig die Seite auf seinem Handy weiter. »Ah, hier steht’s. Und die Pistole, mit der er sich umgebracht hat, war wohl dieselbe, mit der die anderen beiden Entführer J. J. Orr und Simon Pelt getötet worden sind.«
»Ein Cop.« Reeve schüttelt den Kopf. »Und beinahe wäre er nie gefasst worden.« Sie greift nach der Tasse und nippt daran. »Ich verstehe immer noch nicht, wie man letztlich auf ihn gekommen ist. Womit hat er sich denn verraten?«
Dr. Lerner hebt einen
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