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Und nehmen was kommt

Und nehmen was kommt

Titel: Und nehmen was kommt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Laher
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Monika spielt immer wieder darauf, nicht nur dem Bruder zuliebe.
    Sie erbittet Sonderausgang für sich und Jaroslav. Ihr wurde mitgeteilt, die Zinsen auf Mutters Sparbücher seien seit längerem fällig, es stünde ihnen an sich frei, dieses Geld auszugeben, aber an Monikas negativer Punktebilanz ist auf absehbare Zeit nicht zu rütteln. Die zuständige Erzieherin läßt sich erweichen, macht eine Ausnahme und hofft, das Problemkind werde sich in Hinkunft kooperativer verhalten, mit sich selbst besser klar kommen, wenn man ein Auge zudrücke. In der Stadt trennen die Geschwister sich mit ihrem Anteil am Geld, um einzukaufen, wonach ihnen jeweils der Sinn steht. Am vereinbarten Treffpunkt wartet Monika mit neuen Inline-Skates an den Füßen, Jaroslav verspätet sich etwas und hält ihr dann wortlos ein T-Shirt, eine Leggins-Hose und ein Stofftier hin, einen kleinen Teddybären. Das ist alles für die Schwester, für sich selbst hat er nichts, rein gar nichts besorgt. Sie drückt ihn an sich und schämt sich ein bißchen. Gott sei Dank reicht Monikas Geld noch für ein paar Süßigkeiten, mit denen sie sich den Rückweg verkürzen.
    Sie hat einige Packungen Zigaretten im Rucksack. Rauchen ist streng verboten im Heim, aber wer auf sich hält, raucht. Ihre ersten Zigaretten hat sie sich schon hinter Großmutters Rücken angezündet, da war sie sieben, vielleicht acht. Nicht oft freilich, und inhaliert hat sie den Rauch auch nicht. Vom Alkohol hält sie sich weiter konsequent fern, zu schrecklich sind die Erinnerungen an das ersäufte Unglück der lieben Mutter, des bösen Vaters, an die Schnapsfahne des elenden Kerls, der sie vergewaltigen wollte.
    Für einige Tage nach diesem Ausgang, ein paar Wochen sogar schmerzt der Schmerz weniger, ohne ganz zu vergehen, darf die Mutter tot sein und in Frieden ruhen. Monika schläft besser, wirkt ausgeglichen, teenageralbern. Dann ist die Verzweiflung wieder da, ansatzlos und ohne erkennbaren Anlaß, garniert mit Alpträumen und gezielten Herausforderungen an das Heimpersonal, sie zu strafen, ihr wehzutun.
    Manchmal verbringt sie jetzt die Nacht mit ihrer besten Freundin gemeinsam in einem Bett, Kuscheln hilft gegen die Beklommenheit, Streicheln entspannt. Darina will mehr und bekommt einen Teil davon, flüchtige Lippenküsse, unentschlossene intime Berührungen, sie sagt, mit Männern werde sie sich garantiert nie etwas anfangen, sie finde nur Mädchen geil, besonders Monika. Die kann das mit den Männern gut nachvollziehen, aber sie spürt auch überhaupt kein Bedürfnis in sich, lustvolle Entdeckungen an weiblichen Körpern zu machen, weder an ihrem eigenen noch an denen irgendwelcher anderer. Ihr ist wichtig, daß Darina nicht zuviel redet, einfach da ist, ein Kumpel aus Fleisch und Blut, selbstverständlich bereit für diffuse Wege durch dick und dünn. Monika unterschätzt ihre Wirkung auf andere vollkommen. Ohne davon bewußt Notiz genommen zu haben oder gar damit zu kokettieren, hat sie sich zu einer ausgesprochenen Schönheit entwickelt. Ihre Gesichtszüge, die Hautfarbe, wie sie das Haar trägt, den Mädchen im Heim fällt dazu Whitney Houston ein, und der Spitzname bleibt ihr.
    Eines Nachts bei Vollmond wechseln sich wieder einmal seichte Schlafphasen und dunkle Wachträume, stumme Heulkrämpfe und Momente rasender Gedankenketten ab, die Monika die Brust zuzuschnüren drohen. Im Kopf stolpert sie durch eine fremde Stadt, in der alle anderen Menschen zielstrebig unterwegs sind, während sie keine Ahnung hat, wo sie wohnt, wohin sie gehen soll, wer ihr Auskunft geben könnte. Sie möchte am liebsten die Mutter besuchen, aber die lebt auf dem Friedhof, und Monika traut sich nicht, einen der geschäftig Vorüberhastenden zu fragen, wo der Friedhof liegt. Sie gerät ins Schwitzen, ein Schwindel umfängt sie, und als sie schwer atmend die Augen aufschlägt, beschließt sie, mit Darina abzuhauen und Mutters Grab zu besuchen.
    Am nächsten Tag vermischt sich dieser Vorsatz mit der seit Monaten gewachsenen Sehnsucht, die Welt an sich zu entdecken, dem Heim, dieser Käseglocke, in der ihr alles bis ins letzte Detail bekannt ist, den Rücken zu kehren. Was ihr jahrelang Halt gegeben hat, die eingespielten Abläufe, die verbindlichen Regeln, ganz gleich, ob sie sich daran gehalten hat oder nicht, die vollen Teller, das saubere Gewand und ein frisches Pflaster, wenn sie sich beim Fußballspiel das Knie aufgeschlagen hatte, das kotzt sie jetzt alles an. Sie fühlt sich ungebührlich

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