Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Und nehmen was kommt

Und nehmen was kommt

Titel: Und nehmen was kommt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Laher
Vom Netzwerk:
jetzt dieses viele Geld auf dem Konto, das stattliche Haus der Eltern ist glücklich verkauft, es war ihnen zu mühselig geworden, sie zogen ganz in die Stadtwohnung, zahlten die Kinder zu Lebzeiten aus, eine Summe, die manches möglich macht für den Moment.
    Nein, geradlinig ist es wahrlich nicht verlaufen, sein bisheriges Leben. Gutbürgerliches niederösterreichisches Elternhaus in einer beschaulichen Kleinstadt nahe Wien, die Schule geschmissen, früh schon hat es ihn zu Film und Bühne gezogen, Anfänge als Kameraassistent, dann eine Schauspielausbildung, sechs Jahre gespielt, in der freien Szene zunächst, später an zwei etablierten Häusern in Wien und Graz, bis ihn das Biotop Theater mit seinen Stilisierungen, Eitelkeiten und Konflikten anwiderte, mehr als das, es ging ihm schwer an die Nieren, machte ihn richtiggehend krank. Er sattelte komplett um, jobbte als Schlafwagensteward, holte nebenbei die Matura nach, fing eine weitere Ausbildung an, Lebensberater war sein Ziel, hörte wieder auf.
    Spontan ist er und neugierig, was ihn lockt, will er ausprobieren. Ob es sich auf lange Sicht rechnet, wird sich schon herausstellen, Risiko ist eingeplant. Dabei ist er ganz und gar nicht der Ellbogentyp, im Gegenteil, wenn er sich weit, zu weit hinausgelehnt hatte, machte ihm sein hochsensibles Wesen mehr als einmal einen dicken Strich durch die Rechnung.
    Er lernte nach manch anderer eine Frau mit ähnlichem Zugang zum Leben kennen, nur nicht so sprunghaft, so unausrechenbar. Gefunkt hat es und geknistert, bald wurde geheiratet, obwohl das auf den ersten Blick nicht recht zu ihnen passen wollte. Sie gaben der gemeinsamen Sehnsucht nach, vollkommen neu anzufangen, alles hinter sich zu lassen, aber das andere Ende der Welt, Neuseeland in ihrem Fall, war nicht weit genug dafür entfernt, außerdem hatten sie mehr mitgenommen dorthin, als in ihrem Gepäck verstaut war.
    Ein halbes Jahr nur dauerte das Abenteuer Auswandern, trotz aller Vernunftvorwände hatte es, mußte er sich eingestehen, mit einer Niederlage geendet, denn seine Unrast, sein Ungenügen, die irgendwann fast unmerklich Spontaneität und Neugierde verdrängt hatten, waren nicht gewichen. Bislang hatten sie nur gustiert, waren auf der Suche nach einem geeigneten Platz zum Siedeln landauf landab gereist und nicht fündig geworden. Sie war bereit, Abstriche zu machen, er wehrte sich dagegen. Sie wollte unbedingt bleiben, er wollte unbedingt zurück. Sie fügte sich schließlich, aber es blieb ein Knacks.
    Er hatte Glück, konnte zuhause schnell wieder in seinem alten Schlafwagen vom Südbahnhof nach Italien und retour anheuern. Zu neuen beruflichen Ufern zog es ihn für den Moment nicht so recht, sie wiederum begann damit, zielstrebig an einer Karriere zu basteln, und bald hatte sie es zur Chefsekretärin in einem internationalen Konzern gebracht. Ungefähr ein Jahr später, er hatte nicht im entferntesten damit gerechnet, nicht damit rechnen wollen, machte sie von einem Tag auf den anderen Schluß, ging weg, in aller Freundschaft, wie sie betonte, ihm zog es die Schuhe aus. Er schaute lange ins Leere der gemeinsamen Wohnung, dann ging er ins Bad.
    Im Krankenhaus wachte er benebelt auf, der Cocktail aus Antidepressiva und Schlafmitteln hatte ihn ganz schön vergiftet. Die Freunde, viele waren es nicht, saßen bestürzt an seinem Bett, auf die Eltern, den Bruder wartete er vergeblich. Die Verwandtschaft hatte sich zwar mit seinem unorthodoxen Lebenswandel arrangiert, und spätestens seit der frühen Pubertät war ihm ja selbst an möglichst viel Abstand gelegen, aber die Wurzeln der distanzierten Korrektheit des Verhältnisses zu Vater und Mutter lagen viel tiefer. Genau genommen hatte er zuhause, soweit er sich zurückerinnern konnte, nie selbstverständliche Nähe und Wärme erfahren, schon dem Kuschelbedürfnis des Kleinkindes war man, je nachdem, verständnislos oder belustigt begegnet. Erst jetzt gestand er sich vorsichtig ein, wie weh ihm das getan hatte, wie weh es ihm tat, daß seine Eltern nicht und nicht an die Krankenzimmertür klopfen wollten.
    Als es ihm besser ging, was heißt besser, kündigte er. Sobald er die letzten zugestiegenen Reisenden versorgt hatte und langsam Ruhe im Waggon einkehrte, seine Arbeit sich für Stunden in bloßer Bereitschaft erschöpfte und er sich in seinem engen Kabäuschen ganz auf sich zurückgeworfen empfinden mußte, stieg ihm regelmäßig mit scharfen Konturen ins Bewußtsein, was er tagsüber einigermaßen

Weitere Kostenlose Bücher