Und nie sollst du vergessen sein
hätte mein Vater das erledigen sollen. Die Alte war scharf auf ihn, aber er wollte nicht zu ihr gehen und so bat er mich, diesen kleinen Gefälligkeitsauftrag zu übernehmen. Dabei hat mir diese blöde Gans noch nicht mal ânen Zehner dafür in die Hand gedrückt. Und blöd rumgemeckert hat sie auch noch, warum ich da war und nicht mein Vater. Undankbar, diese Weibsbilder.â
âWie darf man das verstehen, dass Maria Reisinger âscharfâ auf Ihren Vater war?â, fragte nun Stefan Alt.
âNachdem sich meine Eltern getrennt hatten und meine Schwester verschwand, da hat Maria wohl gemeint, sie könnte meinen Vater trösten und sich dadurch an ihn ranschmeiÃen. Sie hat einfach nichts unversucht gelassen, meinem Alten ihre Gefühle und ihre Liebe zu zeigen. Am Anfang waren es selbstgebackene Kuchen für uns, Einladungen zum Abendessen â zu zweit, versteht sich â und gemeinsame Spaziergänge. Aber als mein Vater keine Anstalten machte, ihre Avancen zu erwidern, hat sie zu anderen Mitteln gegriffen.â
âUnd wie sah das aus?â
Stefan Alt schaute ihn durchdringend an in der Hoffnung, nun weitere Einzelheiten zu erfahren, die für den Ermittlungsverlauf von Bedeutung sein könnten.
âPlötzlich änderte sich ihr Verhalten. Sie wollte nicht nur in der Kirche beim Gottesdienst neben ihm sitzen, nein, sie holte ihn auch ab und brachte ihn nach Hause, wie eine Mutter ihren kleinen Lausejungen. Sie wartete oft vor der Tür, bis der Alte herauskam, nur um mit ihm ins Gespräch zu kommen. Jeden Tag rief sie hier mehrmals an â ich vermute, sie wollte wohl unbedingt seine Stimme hören â und unterhielt sich mit ihm über die banalsten Dinge. Aber als mein Alter auch daraufhin keine Anstalten machte, ein Interesse an ihr zu haben, da schrieb sie ihm jeden Tag Liebesbriefe â und was für welche. Die Alte hatte echt einen Schuss. Tja, da hat sieâs jetzt hingerafft, aber, selber schuld, die alte Klatsch- und Tratschtante. Vorlauten Leuten wird eben das Maul gestopft â so oder so.â
âEin bisschen mehr Anstand. So können Sie mit Ihresgleichen reden, aber nicht über Tote.â Karl Strittmatter wurde nun richtig laut. Seine Worte hallten in der hohen Empfangshalle wider und bekamen dadurch eine noch stärkere Gewichtung.
âIst ja schon gut. Aber warum soll ich die denn um die Ecke gebracht haben? Ich hätte mir ja ânen Heidenspaà zerstört, wenn ich diese Poetin umgebracht hätte. Ihre Briefe waren zu gut und im Dorf der absolute Kracher. Da ist es doch nur zu schade, dass nun die beste Entertainerin von uns gegangen ist.â Strittmatter wollte wieder etwas erwidern, als ihm Stefan Alt zuvorkam. âSie haben die Briefe etwa gelesen?â
âJa, warum auch nicht. Mir sind die Tränen gekommen, als ich den ersten Brief gelesen habe. Ich dachte, der Umschlag sei vielleicht irrtümlich hier eingeworfen worden, aber als dann jeden Tag mindestens ein Brief kam, da wusste ich, mein Vater war tatsächlich der Auserkorene.â
âUnd wie hat eigentlich Ihr Vater auf die Briefe reagiert?â
âAch, am Anfang hat er sich nicht groà darum gekümmert. Mal hat er die Augen verdreht, mal hat er sie angerufen und ihr gesagt, dass das sofort aufhören müsse. Aber im GroÃen und Ganzen, da die Briefflut nach solchen Telefonaten eher noch gröÃer wurde, hat er die Briefe direkt in den Papierkorb befördert und sich nicht weiter drum geschert.â
âGab es sonst keine Reaktion? SchlieÃlich grenzt das ja schon an Stalking, wenn nicht sogar an Psychoterrorâ, sagte Strittmatter.
âNicht dass ich wüsste, auÃer vielleicht ...?â
âJa?â
âNa ja, der letzte Brief von ihr war anders. Von auÃen sah er genauso aus wie die anderen, aber der Inhalt war nicht so wie sonst.â Gerald stockte. Stefan Alt war sich nicht sicher, ob der junge Mann nach den richtigen Worten suchte oder einfach nicht weitererzählen wollte â auf jeden Fall machte er plötzlich einen unsicheren Eindruck. Er schaute sich im Haus um, kratzte sich am Kopf und tippte mit dem linken Fuà unregelmäÃig im Takt.
âDu kannst ruhig fortfahren.â Stefan Alt hatte genug und hoffte, mit dem Du eine Vertrautheit zu schaffen, die Gerald zum Reden bringen sollte. Eine Taktik, die sich auszuzahlen schien.
âNa ja, die
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