Und nie sollst du vergessen sein
nach dem Schmuckstück. Doch er hielt inne, als er es auf dem Boden liegen sah. âWoher hast du das?â, fragte er Emma überraschend barsch. âWas meinst du mit âWoher hast du dasâ?â Sie schnäuzte sich kräftig. Dabei fielen ihr einige blonde Strähnen ins Gesicht und sie musste ihre Haare erst einmal hinter ihre Ohren schieben, um sich dann erneut ihrer Nase widmen zu können.
âIch will wissen, wo du diesen Rosenanhänger herhast.â In seine Stimme mischten sich Wut und Verzweiflung, während Emma ihn nur ungläubig anschaute und sich noch einmal die Nase mit dem mittlerweile fast zerfledderten Taschentuch abwischte, ehe sie antwortete: âJemand hat mir dieses Schmuckstück gegeben, nachdem er es unten am See gefunden hat. Und so wie ich bisher erfahren habe, gehört es einer ehemaligen Rosenkönigin, doch keiner weiÃ, welcher. Denn ich habe mich erkundigt, und die beiden Initialenâ, Emma zeigte auf die Rückseite des Medaillons und die dort eingravierten und nur noch schwach zu erkennenden Buchstaben, âkönnen nur für eine gewisse Clara Leininger gestanden haben. Doch laut meines Vermieters ist sie seit gut einem Jahr verstorben und ihr Schmuckstück soll ihr bei der Beerdigung mit ins Grab gelegt worden sein. Jedenfalls frage ich mich, wie dieses Medaillon am See gefunden werden konnte, wenn es doch eigentlich in einem Grab liegen müsste. Doch niemand kann mir darauf eine Antwort geben. Also scheint alles nur ein blödes Missverständnis zu sein und es handelt sich um eine Fälschung, um ein Kinderschmuckstück oder sonst was.â
âEs kann gar nicht in einem Grab liegen.â René starrte immer noch entgeistert auf das Medaillon.
âWie meinst du das jetzt?â
âWeil es gar nicht Clara Leiningers Rosenanhänger ist.â Emma schaute René an, als wäre er das siebte Weltwunder höchstpersönlich.
âDas Medaillon gehörte nicht Clara? Wem denn dann?â
René sah erst Emma an, richtete seinen Blick dann wieder auf das kleine Silberblättchen mit dem Rosendruck auf der Vorderseite, um anschlieÃend wieder in Emmas grau-blaue Augen zu schauen.
âEs ist Charlottes Medaillon.â
neunundvierzig
Emma fror. Die Kälte, die um die Kirche kroch, machte auch nicht vor ihrer Jeans, den schwarzen Stiefeletten und ihrem dicken camelfarbenen Anorak Halt. Doch das Unangenehmste war die Feuchtigkeit, die die kalte Luft mit sich trug und die sich so gerne in die Baumwollschichten der Kleidung setzte. Und doch war es nicht allein das ungemütliche Novemberwetter, das sie so frösteln lieÃ.
âDas Medaillon hat Charlotte gehört?â
âJa.â Das Medaillon lag in seiner rechten Innenhandfläche, in der es fast verloren ging. Mit dem Zeigefinger seiner linken Hand schob er es vor und zurück und betrachtete es liebevoll. âAber die Initialen âCâ und âLâ können nicht für Charlotte stehen. Ihr Nachname ist Nägele.â
âIch weiÃ.â René zögerte. Er atmete tief durch, ehe er fortfuhr. âCharlotte war eben immer etwas eigen. Etwas Besonderes. Zumindest hielt sie sich dafür. Und alles musste nach ihrer Nase gehen. Sie bestimmte, diktierte, tyrannisierte.â
âIch verstehe immer noch nicht, was du meinst.â
âCharlotte hasste ihren Vater. Und mit dem Medaillon wollte sie ihm endlich zeigen, wie groà ihre Abneigung ihm gegenüber wirklich war. Sie wollte nichts mehr mit ihm zu tun haben. Sie hatte es satt, von ihm die ganze Zeit wie ein kleines Kind behandelt und gegängelt zu werden. Und so fasste sie den Entschluss, ihm eins auszuwischen. Und was passte da besser, als das Medaillon zu Ehren ihrer Krönung nicht mit der Initiale seines Nachnamens, sondern mit dem ersten Buchstaben meines Nachnamens für die Gravur zu nehmen?â
âDaher kommt das âLââ, sagte Emma und sprach dabei mehr mit sich selbst als mit ihrem Gegenüber. Daher konnte auch Georg Villinger nichts von dem Medaillon wissen, weil sich Charlotte selbst darum gekümmert hat, dachte Emma und hatte zum ersten Mal eine Ahnung davon, was es bedeutete, den richtigen Heuhaufen für die sich sprichwörtlich darin befindliche Nadel gefunden zu haben.
âIch war so blöd, so naiv, so blauäugig. Aber ich habe sie geliebt. Und was tut man nicht alles aus Liebe.â René
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