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Und Nietzsche lachte

Und Nietzsche lachte

Titel: Und Nietzsche lachte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Quarch
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Moralphilosophie, die sich anschickte, durch eine minutiöse Selbstreflexion der Vernunft ein absolutes Sittengesetz zu entdecken, das für alle Vernunftwesen mit eben der Verbindlichkeit und Autorität gilt, die vordem vom Gebot Gottes behauptet wurde. Die Qualität des menschlichen Daseins sollte sich danach richten, inwieweit ein Mensch sich aus freien Stücken auf dieses Gesetz verpflichten wollte. Nicht mehr der Wille zum Gehorsam gegen Gott erschien Kant als Garant eines sinnvollen Lebens, sondern der Wille zum Gehorsam gegen dieses Sittengesetz der reinen praktischen Vernunft. Und so konnte er zum Eingang seiner Grundlegung zur Metaphysik der Sitten schreiben: »Es ist überall nichts in der Welt, ja überhaupt auch außer derselben zu denken möglich, was ohne Einschränkung für gut könnte gehalten werden, als allein ein guter Wille.« Das heißt: Wenn etwas unserem Leben Sinn gibt und uns erlaubt, »Ja« zu ihm zu sagen, dann ist es unser Wille zum Guten. Der Wille zum Sinn geriet bei Kant zum Willen zum (moralisch) Guten.
    Aber was ist das Gute? Wie füllt sich dieser Begriff mit Inhalt, wenn kein Gott mehr da ist, der sagt: »Du sollst …«? Es würde zu weit führen, an dieser Stelle die verschlungenen Wege von Kants Moralphilosophie nachzuzeichnen, und es ist für unseren Zusammenhang auch nicht so wichtig. Wichtig ist, dass bei Kant unterm Strich herauskommt, dass der Sinn des Lebens darin besteht, sein ganzes Wollen auf das zu lenken, was er den »kategorischen Imperativ« nannte – diejenige Handlungsanweisung, die sich aus der Selbstdurchleuchtung der praktischen Vernunft mit zwingender Notwendigkeit herleiten lässt: »Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.« Oder auch: »Handle so, als ob die Maxime deiner Handlung durch deinen Willen zum allgemeinen Naturgesetze werden sollte.«
    Sinnvoll, würde Kant wohl sagen, ist ein Leben nur dann, wenn es diesem Imperativ der Vernunft folgen will; wenn wir uns unserer Würde würdig erweisen, die in nichts anderem gründet als darin, vernünftig zu sein. Einen Gott als Gesetzgeber braucht es dafür nicht mehr. Und an die Stelle so unzuverlässiger menschlicher Ersatzgötter wie dem autoritären Staat oder dem Prinzip der Nützlichkeit (oder der unsichtbaren Hand des Marktes) konnte Kant mit berechtigtem Stolz das unverbrüchlich-absolute Gesetz setzen, das die Vernunft selbst diktiert hatte. So kam in seiner Philosophie die bislang erfolgreichste Strategie der Sinnstiftung zu ihrer Vollendung: die Moral. Gleichzeitig trieb er das auf die Spitze, was ich die Gleichsetzung von sinnvoll und gut nenne. Denn nun konnte man den Sinn seines Lebens auch dann noch in einem moralisch guten, integren und bejahbaren Leben verorten, wenn die absoluten und unerschütterlichen Kriterien für dessen Gut-Sein nicht mehr von Gott gemacht, sondern aus der Vernunft hergeleitet waren. Und dieses Verständnis von einem sinnvollen Leben ist – ob bewusst oder nicht – bis heute ungebrochen präsent.
    Machen Sie die Probe: Fragen Sie Ihre Freunde und Bekannten, wovon sie sich den Sinn ihres Lebens versprechen. Wieder und wieder werden Sie hören: »Mein Leben macht Sinn, wenn ich etwas Gutes tue! Sinnvoll finde ich, anderen zu helfen! Ich will unbedingt etwas Vernünftiges tun!« Wer so spricht, ist ein Erbe Kants. Und wer darüber hinaus zu sagen wagt: »Mein Leben ist genau dann sinnvoll, wenn ich den Willen Gottes tue und seinem Gebot gehorsam bin«, der ist sogar in der alten Welt der moralischen Identifikation von sinnvoll mit gut zu Hause.
    Was fangen wir nun mit all diesem Wissen an? Ich höre Sie schon sagen: »Hatten Sie, lieber Herr Quarch, nicht behauptet, diese traditionellen Deutungen von Sinn, diese klassischen Sinnerwartungen, sie wären Gedankenmüll? Warum dann so viel Aufhebens um sie?« – Naja, weil ich tatsächlich meine, dass keine der bis hierhin rekonstruierten drei Sinn-Deutungen uns eine schlüssige Erklärung dafür gibt, was Viktor Frankl erlaubte, an jenem grauen Wintermorgen trotzdem »Ja!« zum Leben zu sagen. Weil dieses »siegreiche ›Ja!‹« nun einmal nicht daran hing, dass er plötzlich die verborgene Bedeutung oder Bestimmung seines Daseins erkannt hätte. Auch nicht daran, dass er sich nützlich machte und sein Leben als zweckdienlich erfuhr, oder dass er sich seines guten Willens oder Gehorsams gegenüber Gott und Sittengesetz bewusst wurde. Und weil es trotzdem

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