Und Nietzsche lachte
komm mir bloß nicht mit deinem ›Apollinischen‹ – ha, ein matter Abklatsch der Macht meines Bruders ist’s, womit du da seinen Namen beschmutztest. Dein Traumgespinst war’s, aber nicht ein Gott. Doch gleichviel, er hat’s dir verziehen. Er schon, aber nicht sie . Denn was am schlimmsten wiegt, Herr Nietzsche!«, und nun blitzte ein heiliger Zorn in seinen funkelnden Augen, »meine liebe Schwester Aphrodite hast du noch nicht einmal angeschaut. Hast sie ignoriert. Und tust es noch immer. Das war feige. Das war nicht klug, Herr Philosoph! Denn ganz im Vertrauen: Ohne je ihre Nacktheit geschaut zu haben, wird dein Wille zur Macht ein Gelächter oder eine schmerzliche Scham. Eine kecke Onanie, so heiße ich ihn. Und dass ein jeder nun meint, es sich selbst machen zu müssen, dass dies Unheil auf Erden wütet, mein Freund – das muss ich leider auch dir ankreiden.« Hermes schwieg, und Nietzsche schluckte.
Vom Sinn der Erde und einem (post)modernen Versuch, sich das Leben schön zu machen
Da capo!
Schaffen, wollen, sinnvoll sein – Nietzsches Projekt Übermensch
Was also ist der Sinn des Lebens? Wie lässt sich deuten, was uns trägt – auch dann noch, wenn Finsternis uns umhüllt und kalte Verzweiflung nach der Seele greift? Was ist das für ein »Ja!«, das Viktor Frankl einst entgegenstrahlte? Wo kommt es her, und wie können wir es finden? Kann es überhaupt gefunden werden? Frankl sagt: Ja, es kann sogar nur gefunden werden. Aber dort, wo wir bislang nach ihm suchten, haben wir es nicht gefunden. Wohl fanden wir ein kleines »Ja«, das uns da begegnet, wo wir meinen, moralisch gut zu leben, nützlich zu sein oder unserer Bestimmung zu folgen. Doch hatten wir Zweifel, ob dieses kleine »Ja« uns wirklich trägt. Denn Frankls jubelndes großes »Ja!« klang doch gänzlich anders.
Nietzsche war das alles suspekt. Nicht das große »Ja!« Frankls, aber doch all die alten Sinnfindungsstrategien und Sinnerwartungen, die wir uns bislang angeschaut haben. Für ihn war klar: Das alles taugt gar nichts. Dafür hatte er nur Spott übrig. Ihm war das alles »Metaphysik«, weil es auf einen Gott verweist, den es, wie er meinte, nicht gibt – oder auf Ersatzgötter, die ebenso wie der alte Gott der Christenheit bei näherer Betrachtung nichts anderes sind als Menschenwerk: Projektionen und Fantasien. Geschaffen von Menschen, die unter Leib und Leben litten; erfunden, um sich das Leben erträglich zu machen; gemacht von Menschen, die ihrem Leib und Leben möglichst rasch entkommen wollten und sich deshalb ein Jenseits schufen, wo sie hofften, dass sich zuletzt – frei von Leid und Last – der Sinn ihres Lebens erfüllen würde.
Nietzsche hielt dagegen. »Ich beschwöre euch, meine Brüder, bleibt der Erde treu«, ließ er seinen Zarathustra predigen, »und glaubt denen nicht, welche euch von überirdischen Hoffnungen reden! Giftmischer sind es, ob sie es wissen oder nicht. Verächter des Lebens sind es, Absterbende und selber Vergiftete, deren die Erde müde ist: so mögen sie dahin fahren!« Gegen diese Giftmischer bezog Nietzsche Stellung. In scharfem Kontrast zu allen Theologen und Metaphysikern sah er sich als »Fürsprecher des Lebens«, als »Fürsprecher des Leidens« und als Fürsprecher des Leibes. »Leib bin ich ganz und gar, und Nichts außerdem; und Seele ist nur ein Wort für ein Etwas am Leibe«, predigte er. Ja, als Fürsprecher des Diesseits sah er sich, und folglich konnte der Sinn des Lebens für ihn nicht aus irgendeinem Jenseits, von irgendeinem Gott oder aus irgendeinem fernen Himmel zu ihm kommen. Nein, der Sinn des Lebens konnte für ihn nichts anderes sein als der »Sinn der Erde«: »Eure schenkende Liebe und eure Erkenntnis diene dem Sinn der Erde! Also bitte und beschwöre ich euch«, lässt er seinen Zarathustra in der Rede Von der schenkenden Tugend sagen. Und weiter: »Führt, gleich mir, die verflogene Tugend zur Erde zurück – ja zurück zu Leib und Leben: dass sie der Erde ihren Sinn geben, einen Menschen-Sinn. [ …] Euer Geist und eure Tugend diene dem Sinn der Erde, meine Brüder: und aller Dinge Wert werde neu von euch gesetzt! Darum sollt ihr Kämpfende sein! Darum sollt ihr Schaffende sein!«
Was meint Nietzsche damit? Er will sagen: Es gibt keinen Sinn, der gefunden werden kann. Wenn schon Sinn, dann müssen wir ihn selber machen. Und zwar als »Sinn der Erde« – als einen Sinn, der bodenständig ist, weil er der Realität entspricht, dass dieses Leben ein
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