Und plötzlich warst du wieder da
deines Vaters hätte dich dazu verurteilt, ein Jahr lang hierzubleiben“, sagte er nach einer Weile. „Was passiert, wenn du es nicht tust?“
Sie konnte es ihm unmöglich sagen. Dass ihr Vater bereit gewesen war, seinem härtesten Konkurrenten und ärgsten Feind das gesamte Kincaid-Vermögen zu überlassen und die eigenen Kinder zu enterben, war zu erniedrigend. „Dann lasse ich einige Leute im Stich und schade mir selbst“, antwortete sie ausweichend.
Lucas lehnte sich behaglich zurück und faltete die Hände hinter dem Kopf. „Hast du den Kaufvertrag für das Penthouse gelesen, den dein Vater unterschrieben hat?“
Nadia wurde es immer unmöglicher, ihr Frühstück zu genießen. Sie schob den Teller zurück. „Nein. Warum sollte ich?“
„Weil ich mir als Eigentümer des Gebäudes natürlich das Recht vorbehalte, jemanden wieder hinauszuwerfen, wenn bestimmte Gründe dafür vorliegen.“
Das Wenige, was Nadia bisher gegessen hatte, war ihr offenbar nicht gut bekommen. Sie bekam ein flaues Gefühl im Magen. Was meinte Lucas mit bestimmten Gründen ? Und welche Konsequenzen hatte es, wenn er sie hinauswarf? War sie dann frei und konnte Lucas verlassen, ohne dass sie ihr Erbe verwirkte? Oder war dann alles verloren? Nadia schwankte zwischen Hoffnung und Verzweiflung. Möglicherweise hatte ihr Lucas gerade, ohne es zu wollen, ein Schlupfloch gezeigt, das ihr dieses Exil ersparte. Sie musste unbedingt Richards danach fragen. Und solange sie nicht mit ihm gesprochen hatte, musste sie Lucas hinhalten.
„Du willst mich hinauswerfen? Das ist doch wohl nicht dein Ernst“, sagte sie mit fester Stimme.
„Du hast die Wahl. Entweder du nimmst deine Fahrstunden bei mir, oder ich setze meine Anwälte auf die Sache an. Und ich schwöre dir, sie werden etwas finden.“
Bevor Nadia den Schrecken verkraftet hatte, klingelte ihr Handy. Sie blickte auf das Display. „Das ist Mitch. Du entschuldigst mich. Ich muss kurz mit ihm sprechen.“ Damit stand sie auf, ging ans andere Ende der Dachterrasse zum Pool und wandte Lucas den Rücken zu, bevor sie den Anruf annahm.
„Was hast du herausgefunden?“, fragte sie, nachdem sie Mitch begrüßt hatte.
„Es gibt ein Scheidungsersuchen, aber einen richterlichen Beschluss konnte ich nicht finden. Das Ersuchen ist von dir unterschrieben und sieht ziemlich echt aus.“
„Ich kann mich beim besten Willen nicht daran erinnern, nach dem Unfall so etwas unterschrieben zu haben. Aber du weißt ja selbst, in was für einem Zustand ich mich damals befunden habe.“ Die ersten Wochen nach dem Unglück hatte sie wie im Nebel verbracht. Als sie einigermaßen wiederhergestellt gewesen war, hatte sie sich an der Barry-Universität in Miami für den Studiengang Betriebswirtschaft einschreiben lassen. Eigentlich hatte sie in New York Mode-Design studieren wollen, das war immer ihr Traum gewesen. Aber ihr Vater hatte es ihr ausgeredet, und Nadia hatte damals nicht die Kraft gefunden, sich zu widersetzen. Hatte ihr Vater ihr womöglich die Scheidungspapiere untergeschoben? Und sie hatte sie unterschrieben, ohne zu merken, was es war?
„Wann soll ich das unterschrieben haben?“, erkundigte sie sich.
Sie hörte, wie Mitch in Papieren blätterte. „Am dreizehnten August.“
Nadia begann, angestrengt nachzudenken. Mitch redete weiter und nannte noch eine Reihe von Daten, aber sie hörte ihm nicht mehr zu. „Mitch“, unterbrach sie ihn endlich, „hör mir mal zu. Der dreizehnte August! Das war nur vier Tage nach meinem Unfall.“
Mitch verstummte zunächst, dann hörte Nadia eine Kanonade von Flüchen. „Vier Tage nach dem Unfall hast du noch im Koma gelegen. Das hier ist eine gottverdammte Fälschung!“
Nadia holte tief Luft und drehte sich langsam zu Lucas um, der nach wie vor am Frühstückstisch saß. Sie musste aufpassen, dass die Knie unter ihr nicht nachgaben und sie im Swimmingpool landete. „Bedeutet das …?“, fragte sie Mitch.
„Das bedeutet vermutlich, dass dieses Papier keine Gültigkeit besitzt. Ich gebe das sofort an Richards weiter. Er soll das prüfen. Jetzt gerat bloß nicht in Panik, ja?“
„Du hast gut reden! Nach elf Jahren erfahre ich, dass ich immer noch mit Lucas Stone verheiratet bin.“
4. KAPITEL
Lucas hatte Nadia beobachtet. Er konnte zwar nicht hören, was sie am Telefon sagte, aber er merkte ganz genau, dass etwas im Busch war. Er glaubte sogar zu wissen, worum es ging. Denn einige der letzten Worte hatte er Nadia von den Lippen ablesen
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