Und plötzlich warst du wieder da
Frau!“
„Wetten doch? Ich habe heute eine Kopie von dem angeblich von dir unterschriebenen Scheidungsersuchen bekommen und die Unterschrift mit denen unter deinen Briefen verglichen. Die Unterschrift unter dem Dokument ist zwar ganz gut nachgemacht, aber niemals deine.“
Sie hatte es schon geahnt. Und Mitch sollte es ihr am nächsten Morgen bestätigen. Doch noch etwas anderes ließ Nadia aufhorchen. Lucas besaß ihre Briefe noch? Sie erinnerte sich sehr gut daran. Es waren feurige, leidenschaftliche Zeilen, die sie sich geschickt oder zugesteckt hatten und in denen sie den ausschweifendsten Fantasien freien Lauf gelassen hatten. Nadia hatte jedes einzelne Erinnerungsstück aus dieser Zeit sorgsam aufbewahrt, jeden Brief, jeden Abschnitt einer Eintrittskarte, jede Blume, die sie von ihm bekommen und später zwischen Buchseiten gepresst hatte. All das lag jetzt in einem Karton ganz hinten in ihrem Kleiderschrank in Kincaid Manor. Nach dem Unfall und im Glauben, dass sowohl Lucas als auch ihr Sohn tot waren, hatte sie sehr zum Unwillen ihres Vaters für beide eine Erinnerungsecke in ihrem Zimmer eingerichtet, einen richtigen kleinen Hausaltar.
„Du hast meine Briefe aufbewahrt?“ Sie konnte sich die Frage nicht verkneifen.
„Sie sollten mir ein warnendes Beispiel dafür sein, dass es Frauen gibt, die ihre Schwüre nicht halten.“
„Aber ich …“
Er hob die Hand. „Dein Vater hat uns beide hintergangen. Ich gebe dir daran nicht die Schuld. Jetzt musst du dich aber beeilen. Du hast nur noch acht Minuten.“
Sie ging in ihr Apartment und warf die Tür hinter sich zu, hörte sie aber nicht ins Schloss fallen und drehte sich erstaunt um. Lucas hatte das Türblatt mit der Hand aufgehalten und trat in den Flur. „Ich warte lieber hier.“
Tatsächlich hatte Nadia mit dem Gedanken gespielt, ihn einfach draußen stehen und warten zu lassen.
5. KAPITEL
Der markerschütternde Schrei erschreckte Nadia derart, dass sie einen Satz zur Seite machte und fast auf Lucas’ Schoß gelandet wäre. Vorsichtig drehte sie sich zum Nebentisch um, von wo der Aufschrei gekommen war.
Dort saß eine Frau, die entsetzt ihren Begleiter ansah, der auf seinem Stuhl zusammengesunken war. Ein großer scharlachroter Fleck breitete sich auf seiner Hemdbrust aus, auch aus seinem Mund sickerte in einem dünnen Rinnsal das Blut. Leblos starrten seine Augen ins Leere.
Verwirrt sah sich Nadia um. Fassungslos stellte sie fest, dass sich niemand bemüßigt fühlte, dem Mann zu Hilfe zu eilen. Auch als die Frau anfing, laut aufzuheulen, und unsinnige Wortfetzen stammelte, rührte sich niemand, um wenigstens die Ambulanz oder die Polizei zu alarmieren.
Nadia wollte aufspringen und eingreifen. Aber Lucas hielt sie am Handgelenk fest. Fassungslos sah sie ihn an. „Lass mich. Ich bin in Erster Hilfe und Reanimation geschult.“ Das stimmte, denn es hatte zu ihrer Ausbildung gehört, als sie während der Semesterferien für die Reederei ihres Vaters als Betreuerin der Kreuzfahrtgäste gearbeitet hatte.
Die Frau nebenan hatte die Hände vors Gesicht geschlagen und wurde zunehmend hysterischer. Nadia griff sich ihre Serviette. Sie wollte dem Schwerverletzten einen provisorischen Druckverband anlegen, damit sich der Blutverlust in Grenzen hielt, bis der Krankenwagen eintraf. Aber sie konnte sich aus Lucas’ eisenhartem Griff nicht befreien.
„Lucas, was soll das? Siehst du nicht, dass der Mann Hilfe braucht? Ruf wenigstens den Notarzt.“
Lucas legte ihr stattdessen den Arm um die Schulter und zog Nadia an seine Seite. „Reg dich nicht auf, Nadia. Das ist nur gespielt. Das hier ist ein Theater-Dinner.“
Nadia begriff nicht gleich, was er meinte. „Was ist das?“
„Theater. Die beiden da sind Schauspieler. Du liebst doch das Theater. Das hier sollte eine kleine Überraschung für dich sein.“
Die Überraschung war zweifellos gelungen. „Das … das ist alles nur gespielt?“, fragte sie unsicher.
Sie sah sich im Restaurant um. An den hinteren Tisch tauchten weitere Gestalten auf, vermutlich auch Mitspieler. Der erste Akt hatte begonnen. Jetzt, da Nadia unterrichtet war, merkte sie auch, dass die Szene nicht echt sein konnte. Dazu redeten und agierten die Beteiligten doch ein wenig zu theatralisch. Langsam beruhigte sie sich wieder, und ihr Pulsschlag normalisierte sich. Nur die Schamröte brannte ihr noch im Gesicht. Welch ungeheuer peinlicher Gedanke! Jeder hier musste gemerkt haben, dass sie auf das Schauerstück
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