Und plotzlich ist es Gluck
wir trotz meines sorgfältig ausgetüftelten Zeitplans acht Minuten Verspätung, was zum größten Teil auf die Maximalgeschwindigkeit unseres Gefährts zurückzuführen ist, die bestenfalls als »gemächlich« bezeichnet werden kann. Von Red Butler keine Spur. Die Vorhänge in sämtlichen Fenstern des dreistöckigen historischen Klinkerhauses sind geschlossen.
»Könntest du ihn vielleicht holen gehen, Sofia?«, sage ich. »Ich will den Motor nicht abstellen, sonst lässt er sich womöglich nicht mehr starten.«
»Was?«, brüllt sie.
Ich wiederhole mein Ansinnen in voller Lautstärke, um das Dröhnen des Motors zu übertönen.
»Ich rufe ihn an.« Sie zückt ihr Mobiltelefon.
Red geht nicht ran. Es nützt auch nichts, dass wir an die Tür hämmern. Schließlich beginnt Sofia, sein kleines Fenster in der dritten Etage mit Kieselsteinen zu bewerfen. Sie zielt gut, trotzdem taucht erst nach dem siebten Versuch ein zerzauster Haarschopf in dem Spalt zwischen den Vorhängen auf. Red ist offensichtlich gerade erst aus dem Bett gesprungen. Er streckt Zeige- und Mittelfinger in die Höhe, was hierzulande a) »Ihr könnt mich mal« oder b) »Ich bin in zwei Minuten unten« bedeuten kann. Wie es aussieht, hat er Zweiteres gemeint, obwohl es dreieinhalb Minuten dauert, bis er mit einem offenen Rucksack, aus dem Boxershorts, eine Dose Hundefutter, ein eselsohriges Manuskript und eine offene Packung Cracker hervorlugen, vor die Tür tritt. Er trägt seinen Pullover verkehrt herum, mit den Nähten nach außen und dem V-Ausschnitt hinten, und er hat eine Zahnbürste im Mund, Al Pacinos Leine in der Hand und eine Schreibmaschine aus grauer Vorzeit unter dem Arm.
Der Hund zerrt an der Leine, und als Blue ihn erblickt, wirft er sich mit aller Kraft gegen die Gitterstäbe seines Transportkäfigs. Es war zwar vorgesehen, dass er bis zu unserer Ankunft beim Schloss eingesperrt bleibt, doch ich muss ihn freilassen, und die beiden trotten zur hintersten Bank, wo Blue anmutig in den Halbkreis steigt, den Al Pacino mit seinen Vorderpfoten gebildet hat, und dann gucken sie aus dem Fenster wie amerikanische Touristen auf einer Bustour durch Killarney.
»Morgen allerseits«, sagt Red und schiebt ein »Tut mir leid, hab verschlafen« hinterher, dessen selbstverständlicher Tonfall darauf schließen lässt, dass er diese Aussage
mit schöner Regelmäßigkeit tätigt. »Tag, Hailey«, fährt er fort. »Schön, dass wir uns endlich kennenlernen. Sofia hat mir schon viel von dir erzählt.« Sofia und Hailey sitzen nebeneinander in der dritten Reihe und teilen sich eine Tüte Milky Moos.
»Hallo, Red. Ich bin Brendan der Fleischer«, stellt sich Brendan vor und reicht Red ein in Alufolie gewickeltes Fresspaket. Es enthält vier Würstchen, vier Scheiben Toast und eine Packung Ketchup.
Red beugt sich mit ausgestrecktem Arm über die Rückenlehne des Beifahrersitzes, und die beiden schütteln einander kurz und kräftig die Hände. Ich studiere die Straßenkarte. Red geht nach hinten zu Al Pacino und Blue, um ihnen zwei der Würstchen zu geben, den Rest verschlingt er selbst. Dann setzt er sich neben mich und lächelt mich an.
»Na, wie sieht es aus, hast du dieses Baby im Griff?«, fragt er und deutet mit dem Kopf auf das Armaturenbrett.
»Na klar«, keuche ich, während ich mich erneut mit der Gangschaltung abmühe. Der zweite Gang lässt sich problemlos einlegen, aber beim ersten bockt der Hebel.
»So einen bin ich schon mal gefahren«, sagt Red und legt die Hand auf den Schaltknüppel. »Ich übernehme das Schalten; du musst mir bloß sagen, wann du auf die Kupplung steigst.«
Und so legen wir den Rest des Weges zurück – wann immer ich schalten muss, brülle ich »Jetzt!« und trete auf die Kupplung, und dann ringt Red mit der Gangschaltung. Es klingt nervenaufreibend, aber irgendwie funktioniert es.
45
Wir haben das ganze Schloss für uns, denn Milly und Billy sind übers Wochenende nach England gefahren, um der Präsentation eines Buches beizuwohnen, das die Herzogin von York, eine von Billys unzähligen entfernten Verwandten, geschrieben hat.
»Wir vertrauen Sie der Obhut unserer Köchin Glynis an, Scarlett«, sagte Billy, als ich ihn anrief, um alles für unseren Aufenthalt zu arrangieren. Glynis ist auch für das Hochzeitsmahl – das »Bankett«, wie Sofia es hartnäckig nennt – zuständig.
»Wir können auch an einem anderen Wochenende kommen, an dem Sie zu Hause sind, wenn Ihnen das lieber ist.«
»Aber nein,
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