Und plotzlich ist es Gluck
Federn sind. Außerdem versinken sie im Morast.«
Es ist Carmella, die im Schwanenreservat arbeitet. Ich erkenne sie an ihrem leichten Waterford-Akzent.
»Sollten sie nicht direkt zum Schloss geliefert werden?«
»Ja, aber Ron von Flamingos Rock Limited hat mich gestern Abend angerufen. Es gab da ein kleines Problem …«
»Ein Problem?«
»Naja, es ist eine etwas delikate Angelegenheit, wenn du weißt, was ich meine …«
Ich habe keine Ahnung, was sie meint, aber irgendetwas sagt mir, dass ich lieber nicht weiter nachbohren sollte.
»Wie auch immer, Ron und ich kennen uns seit Jahren, und er weiß, dass ich Erfahrung im Umgang mit Vögeln habe. Ich habe ihm gesagt, ich würde die Flamingos selbst hinbringen … Du liebe Zeit, ist alles in Ordnung, Scarlah?«
Ich habe völlig überraschend eine weitere Kontraktion und krümme mich vor Schmerz.
»Ich will nur sichergehen, dass ich keinen Matsch an den Schuhen habe …«, ächze ich mit dem Kopf zwischen den Knien. »Wegen dem Teppich … Ist der neu?«
»Ja«, antwortet Carmella. »Papà hat ihn extra für die Hochzeit bestellt. Geht es dir auch wirklich gut?«
Der Schmerz verschwindet, als wäre er nie da gewesen. Ich richte mich langsam auf und blinzle, weil noch ein paar weiße Flecken den Rand meines Blickfelds zieren. »Also«, sage ich in einem jovialen Tonfall, der Carmella vollends überzeugt, »wo steckt denn die sittsame Braut?«
Carmella dreht sich um, so dass ich ihr Gesicht nicht sehen kann. »Los, komm mit in die Küche.«
Ich folge ihr zögernd. Der Teppich ist eine Kopie des Michelangelo-Freskos »Das Jüngste Gericht« aus der Sixtinischen Kapelle. Da es schier unmöglich ist, auf keines der Gesichter zu treten, lege ich den Weg zur Küche mit geschlossenen Augen zurück. Wie gut, dass ich nicht zum ersten Mal hier bin.
In der Küche herrscht eine Atmosphäre wie in einem Pub am sechsundzwanzigsten Dezember. In einem sehr beliebten Pub nach einem besonders langen, öden Weihnachtsfest. Carmella nimmt meine Hand und zieht mich hinter sich her durch die größtenteils italienischen Anwesenden.
Ich zähle einmal durch und stelle zu meiner Überraschung fest, dass sich lediglich sechzehn Menschen im Raum befinden. Es klingt, als würden sie miteinander streiten, aber ich habe genügend Marzoni-Erfahrung, um zu wissen, dass das nicht der Fall ist. Trotzdem bin ich froh, als wir die Küche verlassen. Meine Freude ist jedoch nur von kurzer Dauer, denn nun befinden wir uns in dem Zimmer, das von den Marzonis »der Magnet« genannt wird – warum, weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass es der Raum ist, in dem Beichten abgelegt, Anschuldigungen vorgebracht und Geheimnisse offenbart werden. Hier hat Valentino Marzoni seine Töchter versammelt, um ihnen zu sagen, dass sich ihre Mutter auf Nimmerwiedersehen aus dem Staub gemacht hatte. Hier hat Isabella ihrem Vater mitgeteilt, dass sie sich von Paul scheiden lassen würde (was ihn nach dem Eklat auf Marias Hochzeit nicht ganz unvorbereitet traf). Hier hat Sofia ihrer Schwester Carmella gestanden, dass ihr die Gucci-Handtasche, die sie sich nach langem Betteln hatte borgen dürfen, in eine Fritteuse gefallen war und nun aussah wie ein Würstchen in Backteig.
»Was ist los?«, frage ich, sobald Carmella die Tür hinter uns geschlossen hat. Sie wirkt etwas enttäuscht, weil ich sie der Möglichkeit beraubt habe, ihre Story gebührend aufzubauen und auszuschmücken.
»Es geht um Sofia.« Sie legt eine Kunstpause ein.
Ich nicke. »Ja?«, flüstere ich. Mir gehen tausend mögliche Szenarien durch den Kopf, eines desaströser als das andere.
»Nun … Sie hat sich in ihrem Badezimmer verbarrikadiert und weigert sich, herauszukommen.«
»Und warum?«
»Das weiß ich nicht, aber Maria hat durch das Schlüsselloch
geschaut, und sie hat sie mit einer Tüte Rancheros auf dem Badewannenrand sitzen sehen.«
Hmmm. Rancheros … In Marmite getunkt … Mir läuft das Wasser im Mund zusammen.
»Ist jemand bei ihr?«
»Nur Hailey.«
»Hailey?«
»Ja.« Carmella zuckt die Schultern. »Sie hat uns heute Morgen unsere Zukunft vorhergesagt. Ich werde eine Schiffsreise antreten und einen gutaussehenden Fremden mit dunklen Haaren kennenlernen, der mein Herz im Sturm erobert.«
»Aber … du bist verheiratet«, erinnere ich sie.
»Ich weiß.« Sie grinst. »Aufregend, nicht?«
»Äh, ja.« Ich hebe Blue auf, der verschreckt in seinem Transportkäfig kauert, seit er die Flamingos draußen auf dem Rasen erblickt
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