Und plotzlich ist es Gluck
ich mich, wie ich eigentlich so lange mit Blindheit geschlagen sein konnte.
Der Tag fing schlecht an und wurde kontinuierlich schlimmer. Ich tat, als würde ich es nicht bemerken, hangelte mich einfach von einer Aufgabe zur nächsten, denn etwas anderes bleibt einem an so einem Tag ja auch gar nicht übrig, richtig?
Ich sehe mich im Bett liegen. Es ist fünf Uhr morgens, aber ich bin bereits wach. Ich habe heftige, krampfartige Schmerzen. Ich kann förmlich sehen, wie sie sich über meine Bauchdecke fortbewegen, wie Wellen, die über einen Sandstrand lecken. Ellen tritt dagegen. Ich schmiege beide Hände um sie und summe »Twinkle, Twinkle, Little Star.« Da ich noch eine halbe Stunde Schonfrist habe, watschle ich nach unten und setze mich an meinen Laptop, um bei Womb Raider die möglichen Ursachen für meine Symptome zu recherchieren.
Wie sich herausstellt, handelt es sich um sogenannte Braxton-Hicks-Kontraktionen. Ich atme erleichtert auf und überfliege die Seite. Mein Uterus trainiert für die Wehen. Faszinierend, wie toll organisiert mein Körper ist. Die
Geburt ist erst in zwölf Wochen, aber Ellen und das Team üben in weiser Voraussicht bereits für den Ernstfall. Ich mache mir eine Tasse Kamillentee und setze mich damit in den Garten, wo der Tag bereits angebrochen ist. Dicke Bienen krabbeln in die Falten der Blumenblüten, die sich der Sonne entgegenrecken. Phyllis’ Hühner stolzieren in dem Gehege umher, das George vor Jahren für sie gebaut hat. Es weht eine leichte Brise, und mit der aufgehenden Sonne fängt der Himmel an zu leuchten. Im Osten vernehme ich ein entferntes Rumpeln. Es klingt wie das Knurren eines Hundes. Ein Gewitter? Wohl kaum. Dafür ist es zu früh. Zu schön. Ich sehe auf die Uhr. In vier Minuten und zweiunddreißig Sekunden klingelt mein Wecker. In sieben Stunden, vier Minuten und zweiunddreißig Sekunden wird Red Butler heiraten. Ich leere meine Tasse und gehe wieder ins Haus.
Zwei Stunden später sitze ich im Aston Martin und kann trotz der hektisch über die Windschutzscheibe flitzenden Scheibenwischer kaum die Straße sehen. Es gießt wie aus Kübeln. Blue, der sich fürchtet, wenn es regnet und blitzt und donnert, kauert klagend in seinem Transportkäfig, den Kopf zwischen den Vorderpfoten vergraben. Ich singe ihm sein Lieblingslied vor, »Don’t Cha« von den Pussycat Dolls, besser gesagt, ich brülle, um gegen den Motorenlärm, die Scheibenwischer und das Unwetter draußen anzukommen. »Don’t cha wish your girlfriend was hot like me …?« Mein Handy klingelt. Es ist Sofia Marzoni. Schon wieder.
»Wie lange brauchst du noch?«
»Etwa fünf Minuten weniger lang als bei deinem letzten Anruf«, schreie ich ins Telefon und umklammere das Lenkrad. Das ist nicht gut. Marzoni-Hochzeit hin oder her,
um halb acht Uhr morgens sollte ich mich noch nicht derart gestresst fühlen.
»Ich brauche dich, Scarlah! Hier läuft alles aus dem Ruder. Es regnet junge Al Pacinos.«
Das klingt beinahe, als wäre sie überzeugt, dass ich Einfluss auf das Wetter nehmen kann, was leider nicht der Fall ist. »Ich bin in einer Stunde da. Lass uns dann weiterreden, ja?«
»Wir müssen da noch eine klitzekleine Änderung an der Sitzordnung vornehmen«, sagt sie kleinlaut, als wollte sie mir das unbedingt eröffnen, solange sie noch außer Reichweite ist. Ich habe den Plan mittlerweile sage und schreibe elf Mal überarbeitet. Die Tischordnung für einen Palästinensisch-Israelischen Friedenskongress auszuarbeiten, kann eigentlich auch nicht viel komplizierter sein. Da ich gerade an einer roten Ampel stehe, lasse ich den Kopf auf das Lenkrad sinken und warte ab.
»Es geht um Isabella und Paul«, erklärt sie. »Sie haben sich gestern Abend versöhnt, und jetzt will sie, dass Paul zur Hochzeit kommt.«
»Gestern Abend?«, wiederhole ich ungläubig. Laut Sofia hat sich die Scheidung der beiden so unerfreulich gestaltet, dass sich nicht einmal ihre Anwälte im selben Raum aufhalten konnten, ohne handgreiflich zu werden.
»Ja, beim Abendessen.« Valentino Marzoni hat für die italienischen Gäste das gesamte Merrion Hotel gebucht und dort gestern alle zum Dinner eingeladen. »Paul war nämlich zufällig auch da. Er hatte geschäftlich dort zu tun.«
»Was ist passiert?« Im Grunde interessiert es mich gar nicht, aber Sofia hat vorübergehend aufgehört zu hyperventilieren, und es wäre gut, wenn es so bliebe.
»Ach, das Übliche«, antwortet sie gelangweilt. »Am Anfang gab es natürlich ein
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