Und plotzlich ist es Gluck
sie zu viel Sherry, und hin und wieder trällert sie auch ganz spontan die Filmmusik von Unten am Fluss, mit einer Stimme so süß wie der Sherry, den sie trinkt.
Wenn Phyllis nicht da ist, fehlt zu Hause einfach etwas.
»Ende nächster Woche, glaube ich«, erwidert Maureen.
Ich schiebe das Zubettgehen möglichst lange hinaus. Wenn man an Schlaflosigkeit leidet, scheut man das Zubettgehen wie andere die Einnahme von Lebertran. Man tut es, weil man weiß, dass es gut für einen ist, aber das macht das Schlucken auch nicht einfacher.
Seit John weg ist, leide ich stärker darunter. Mein Bett kommt mir vor wie ein Boxring, in dem ich in der einen Ecke stehe und meine Gedanken in der gegenüberliegenden. Sie prasseln auf mich ein wie Fäuste. Als John noch da war, drehten sich meine nächtlichen Gedanken um meinen Fünfjahresplan. Seit ich wieder bei Maureen und Declan eingezogen bin, kreisen sie um die Tatsache, dass ich fünfunddreißig und Single bin und mit meiner Katze bei meinen Eltern wohne. Diese Gedankengänge verfolgen mich bis tief in die Nacht und sorgen dafür, dass die Minuten in Zeitlupe verstreichen, und wenn ich dann auf den Wecker auf meinem Nachttisch sehe, erscheint es mir völlig unmöglich, dass erst fünfundvierzig Minuten vergangen sind.
Heute wird mir das Einschlafen noch schwerer fallen als sonst. Ich erledige sämtliche Arbeiten so langsam es geht. Wasche das Geschirr von Hand, statt es in die Spülmaschine zu stellen. Ordne die Vorräte in der Speisekammer und stelle sämtliche Packungen so hin, dass alle Dosen und Pakete mit der Aufschrift nach vorn dastehen. Ändere die Ansage auf dem Anrufbeantworter, so dass unsere Namen in
alphabetischer Reihenfolge genannt werden (Declan, George, Maureen, Phyllis und Scarlett können im Augenblick leider nicht ans Telefon gehen … ). Ich sehe auf die Uhr. Erst vier Minuten nach halb zwölf. In meiner Verzweiflung bestehe ich auf einer Partie Scrabble vor dem Schlafengehen. Damit schlagen wir eine weitere Dreiviertelstunde tot. Maureen liebt Scrabble, solange sie gewinnt. Declan lassen wir normalerweise nicht mitspielen, weil er gern Begriffe erfindet, von denen er dann steif und fest behauptet, sie würden tatsächlich existieren. Worauf meine lieben Eltern meist anfangen, einander diverse weitere Begriffe an den Kopf zu werfen und zwar keine netten. Gelegentlich fliegt dann auch Geschirr (Declan), oder es werden büschelweise Haare ausgerissen (Maureen).
Nach dem Spiel bereite ich mir eine Tasse Ovomaltine zu und drehe eine Runde im Garten. Manchmal hilft das. Es ist null Uhr neunzehn. Ich lausche in mich hinein. Keine Spur von Müdigkeit. Also rufe ich Bryan an.
»Kannst du nicht schlafen?«, fragt er.
»Tut mir leid«, sage ich. »Ich hatte mir fest vorgenommen, heute nicht anzurufen, aber …«
»Kein Problem, ich habe noch nicht geschlafen. Was gibt’s?«
»Nichts. Ich … hatte bloß einen schlechten Tag, das ist alles.«
»Soll ich vorbeikommen? Um diese Zeit schaffe ich es in einer Dreiviertelstunde.« Die Versuchung ist groß, und ich spüre, wie ich schwach werde. Bryan ist mein Cousin, aber im Grunde genommen ist er für mich eher wie ein Bruder. Oder wie eine Schwester. Es heißt, wir würden einander ähnlich sehen, was wohl an unserer Hautfarbe liegt – wir haben beide den milchig-weißen Teint eines Grottenolms. Außerdem hat Bryan dieselben grünen Augen und viel zu
großen Lippen wie ich. Ein Geschenk von unserem Onkel Colin, der als das schwarze Schaf der Familie gilt, weil er es nicht lassen kann, nicht autorisierte Biografien von Declan zu veröffentlichen, die sich in der ganzen Welt lastwagenweise verkaufen. Bryan und ich haben aber auch die gleichen widerspenstigen, dichten schwarzen Haare. Ich bändige meine, indem ich sie mir exakt alle sechs Wochen schneiden lasse. Außerdem unterziehe ich mich einmal wöchentlich einer Anti-Frizz-Behandlung und bekämpfe die Krause mit einem Spezialserum, das ich online aus Neuseeland bestelle. Bryans Haar dagegen ist wie Alaska – wild und frei und weitestgehend unberührt. Statt den Gesetzen der Schwerkraft zu folgen und nach unten zu wachsen, steht es ihm kerzengerade vom Kopf ab und setzt sich erfolgreich gegen Bürsten, Kämme und dergleichen zur Wehr. Selbst ich habe jegliche Frisierversuche mittlerweile aufgegeben.
»Nein«, winke ich schließlich ab. »Es ist bloß …«
»Soll ich dir ein paar Seiten aus dem Lexikon vorlesen?«
»Du bist bestimmt müde.«
»Nein,
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