Und plotzlich ist es Gluck
die Ärmel meiner Jacke lang, damit er meine geballten Fäuste nicht sehen kann. »Nicht viel«, sage ich und bin erstaunt, weil meine Stimme nicht anders klingt als sonst. »Maureen hat erzählt, du hättest heute ein Drehbuch erhalten.«
Declan nickt. »Es ist mit der Post gekommen«, sagt er verlegen. »Und geschrieben hat es jemand, von dem ich noch nie gehört habe.« Er seufzt. »Früher kannte ich alle im Filmgeschäft.« Seine Hand tappt suchend über das Klavier. Ich stehe auf, halte Ausschau nach seinen Zigaretten,
nehme eine aus der Packung, zünde sie an und reiche sie ihm.
»Wie ist es?«, frage ich und kehre zur Couch zurück.
»Was?«
»Das Drehbuch.«
»Das Drehbuch?«
»Ja. Das Drehbuch, das heute mit der Post gekommen ist.«
»Ach, das.« Er starrt aus dem Fenster und schabt sich mit dem Handrücken über den Kopf, wobei die Zigarette seinen Haaren gefährlich nahe kommt. Wenn ich genau hinsehe, kann ich erkennen, wie sich einige Haarspitzen kringeln und krümmen. Auf der Fensterbank zu meiner Linken steht eine Vase, in der ein paar Blumen vor sich hinwelken. Falls sich mein Vater in Brand steckt, kann ich ihm ja das grünlich schimmernde Wasser über den Kopf kippen.
»Dad?«
Sein Blick wandert zu mir zurück. Er lächelt.
»Es ist gut.«
»Gut?«
»Vielleicht sogar sehr gut.«
»Oh.«
In den vergangenen zehn Jahren waren nur ausgesprochen wenige Drehbücher »gut«, und kein einziges »sehr gut«. Das war seine Ausrede dafür, dass er nicht gearbeitet hat.
»Ehrlich gesagt …«
»Ja?« Ich warte ab, bis er fortfährt.
»Ist es sogar großartig.« Plötzlich wirkt er nüchtern. Er drückt die Zigarette auf einem Rest Frühstücksspeck aus, springt auf und sieht sich suchend um. »Es muss hier irgendwo sein. Ich zeige es dir.« Er beginnt, sich durch die diversen Stapel im Zimmer zu wühlen.
»Wer hat es geschrieben?«
»Ein gewisser Donal irgendwas. Schauspieler, glaube ich. Arbeitslos natürlich.« Er nimmt sich den nächsten Stapel vor, wirft Rechnungen und Umschläge und etwas, das aussieht wie eine KFZ-Steuerplakette, achtlos auf den Boden.
Ich finde das Drehbuch schließlich in der Toilette im Erdgeschoss. Declan zieht sich gern dorthin zurück, um zu lesen und zu rauchen und seiner Lieblingsmoderatorin Maxi im Radio zu lauschen, und das, obwohl ihre Sendung um halb sechs Uhr morgens anfängt. Declan liebt Maxi. Er nennt sie »mein Mädchen«, was Maureen stets zur Weißglut bringt.
Das Drehbuch sieht aus, als wäre es auf einer Schreibmaschine getippt worden. Der Titel sitzt etwa in der Mitte des Deckblatts. Nicht genau in der Mitte, aber ich finde es sympathisch, dass sich der Autor zumindest die Mühe gemacht hat, es zu versuchen. Der Titel lautet »UNTE WEGS«.
»UNTE WEGS?«, sage ich beunruhigt. Der Webseite www.ScrabbleIreland.ie zufolge bin ich die drittbeste Scrabblespielerin auf der Grünen Insel. Trotzdem kenne ich das Wort nicht.
»Es soll eigentlich UNTERWEGS heißen«, erklärt Declan. »In dem ganzen Drehbuch kommen keine Rs vor.«
»Keine R s?«
»Nicht ein einziges.« Er klingt stolz, als wäre diese Tatsache einer besonderen Anstrengung des Autors zu verdanken.
»Und du hast es trotzdem gelesen?«
»Zwei Mal sogar.« Er ist wie ausgewechselt. So ungewöhnlich lebhaft.
»Scaaarlett!« Maureens Stimme dringt durchs Haus wie
das Kreischen von Autoreifen beim Grand Prix in Monte Carlo.
»Ja?«
»Ich glaube, der Lachs ist durch.«
»Hast du nachgesehen?«
»Nein, aber es riecht schon ziemlich nach Fisch.« Ich höre die Angst in ihrer Stimme. Maureen gerät des Öfteren in Panik, wenn man sie unbeaufsichtigt in der Küche zurücklässt.
»Okay, rühr keinen Finger, ich bin gleich da«, rufe ich und grinse Declan verschwörerisch an, doch er scheint die Vorstellung einer von Fischgeruch erfüllten Küche etwas besorgniserregend zu finden.
»Sei ein braves Mädchen und geh deiner Mutter zur Hand, ja?«
Schon komisch – kaum betritt man sein Elternhaus, mutiert man unwillkürlich wieder ein Stück weit zum kleinen Kind, ganz egal, wie alt man ist oder wie lange man weg war. Ich folge seiner Aufforderung und störe mich überhaupt nicht daran, dass er mich ein »braves Mädchen« genannt hat. Im Gegenteil. Ich finde es eigentlich ganz schön.
Maureen steht vor dem Küchenfenster und übt ihren berühmten Schmollmund. Das ist das Gute an ihren Panikattacken – sie dauern nie lange an. Ich schalte den Backofen aus und stelle drei Teller auf den
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