Und plotzlich ist es Gluck
Gedanken fest im Griff haben, damit sie nicht abschweifen. Zu den Tests beispielsweise. Den positiven Tests.
»Setz ihn hier ab, Scarlett. Er hat mir richtig gefehlt heute.«
Ich stelle Blue auf dem Tisch ab, neben dem Teller meines Vaters. Dieser schneidet das Filet in zwei Hälften und schiebt dem Kater eine davon – die größere – hin. Blue beugt den Kopf darüber, beschnüffelt den dargebotenen Fisch und schiebt ihn mit der Pfote auf dem Teller herum wie ein Kind, das mit einem Röschen Blumenkohl spielt.
»Declan!«, ruft Maureen entsetzt. »Der Arme könnte an einer Gräte ersticken! Du musst den Fisch komplett auseinandernehmen, ehe er ihn fressen kann.«
»Ach, herrje, stimmt ja. Tut mir leid, Blue.« Declan beugt sich über den Lachs und zerlegt ihn in winzige Stückchen,
bis er überzeugt ist, dass der Kater seine Mahlzeit gefahrlos verzehren kann. Dann schiebt er den Teller wieder in Richtung Blue, und die beiden machen sich einträchtig über ihr Abendessen her. Blue hat seinen Teil binnen Sekunden verputzt.
»Ich bringe ihn raus«, sage ich.
»Bei der Kälte? Er wird sich den Tod holen, Schätzchen! « Maureen wickelt sich demonstrativ einen ihrer Schals um den Hals.
»Ja, aber es ist Viertel vor acht«, erinnere ich sie.
»Erledigt er etwa nach wie vor jeden Tag zur selben Zeit sein Geschäft?«, stößt Declan geradezu ehrfurchtsvoll hervor. Er war es, der Blue vor ein paar Jahren von einem Bauernhof in der näheren Umgebung geholt und damit vor einem grausamen Schicksal gerettet hat (ich sage nur: ein Sack, ein Seil, ein paar Steine und der Fluss, der durch unser Dorf fließt). Und seit Declan mit dem damals gerade mal vier Tage alten Fellknäuel nach Hause kam, besteht Blue darauf, sich tagtäglich um exakt neunzehn Uhr und fünfundvierzig Minuten zurückzuziehen, um seine Notdurft zu verrichten, sei es in unserem Garten oder in einem Kistchen auf Johns Balkon, sei es werktags, am Wochenende oder an Feiertagen.
Als ich mich wieder an den Tisch setze, herrscht gefräßige Stille, wie es so schön heißt. Ohrenbetäubende Stille. Ich verspüre das dringende Bedürfnis, sie zu beenden.
»Du hättest nicht unbedingt kochen müssen, Scarlett. Das wollte heute Abend eigentlich ich übernehmen«, bemerkt Maureen. Sie hat immerhin genügend Anstand, bei diesen Worten leicht zu erröten.
»Ich weiß, aber da ich keine Ahnung hatte, was dir so vorschwebt, habe ich beschlossen, einfach etwas mitzubringen«, sage ich. »Nur für alle Fälle.« Tatsache ist, dass
meine Eltern entweder essen gehen oder sich irgendeine ungenießbare Fertigmahlzeit aus dem Tiefkühler reinziehen, wann immer Phyllis außer Haus ist.
Außerdem fühlt sich Maureen immer gleich überfordert, wenn sie für mich kochen soll, weil ich Vegetarierin bin, seit ich mit zwölf eine Dokumentation über Legebatteriehühner gesehen habe. Maureen hat sich nie so recht damit abgefunden. Theoretisch findet sie es zwar toll, weil es ihrem Sinn für das Außergewöhnliche entspricht, und im Irland der 1980er Jahre war man als zwölfjährige Vegetarierin eine Exotin. Es sind die logistischen Aspekte, die sie stören. Obwohl, ehrlich gesagt ist es das Kochen im Allgemeinen, das sie stört. Irgendwann hat Maureen dann die Verantwortung für meine Ernährung einfach auf Phyllis abgewälzt. Phyllis wiederum hält Vegetarier für Angehörige einer obskuren Sekte, und sie hat so lange bei jeder sich bietenden Gelegenheit versucht, mir Fleisch ins Essen zu schmuggeln, bis ich irgendwann für mich selbst zu kochen angefangen habe.
»Phyllis kocht so gut wie nie Fisch«, bemerkt Maureen. »Eigentlich kocht sie fast überhaupt nicht mehr, aber sie weigert sich, in Rente zu gehen. Du kennst sie ja.« Phyllis wohnt nach wie vor in der Einliegerwohnung über der Garage, bezeichnet sich noch immer als unsere Haushälterin und hat nie aufgehört, sich mit einem gebieterischen »O’Hara Residenz, womit kann ich dienen?« zu melden, wenn sie ans Telefon geht. Sie ist jetzt über sechzig und verbringt die meiste Zeit damit, auf ihrem Laptop Bingo zu spielen und zwischendurch mit dem Staubwedel in irgendwelchen Ecken herumzufuchteln. Aber sie gehört genauso zur Familie wie alle anderen, einschließlich Ozzie, dem Oscar, den Declan 1995 gewonnen hat und der nun im Bad als Türstopper fungiert.
»Wann kommt sie denn aus Lourdes zurück?«, erkundige ich mich. Phyllis fährt jedes Jahr nach Lourdes. Dort betet sie dann tagsüber, und abends trinkt
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