Und Sei Getreu Bis in Den Tod: Mitchell& Markbys Letzter Fall
vom Fenster zurücktrat. Chantal Plassy wohnte also immer noch auf Overvale House. Das war nicht sonderlich hilfreich. Aber es ist nicht mein Problem, sagte sich Meredith. Ich gehöre nicht zu dieser Familie. Wenn Jeremy unter dem Druck zusammenbricht, dann ist es die Aufgabe von Toby und Alison, sich um ihn zu kümmern.
Sie fuhr die Auffahrt hinunter und bog auf den Weg, der zur Straße nach Bamford führte. Als sie beim Cottage der Stebbings’ vorbeikam, fuhr sie langsamer, um einen Blick auf das Haus zu werfen. Es wirkte verlassen, trotz der Wäsche, die auf einer Leine flatterte. Sie dachte an die Frau, die sie bei ihrem ersten Besuch auf Overvale House beim Aufhängen der Wäsche beobachtet hatte. Mrs Stebbings, die trauernde Mutter – wo war sie? Welche schlimmen Auswirkungen musste der Tod ihres Sohnes auf sie haben?
Wer auch immer dafür verantwortlich ist, dachte Meredith, er ist abgrundtief böse. Zur gleichen Zeit war die Landschaft hier so wunderschön und wirkte so friedlich, dass jede böse Tat wie ein Anachronismus erscheinen musste, wie eine Art historischer Fehler. Doch diese Vorstellung berücksichtigte nicht die menschliche Natur, die ebenfalls friedlich und gelassen erscheinen und zugleich im tiefsten Innern gewalttätige Emotionen beherbergen kann.
Sie hatte die Hauptstraße erreicht und drückte das Gaspedal nieder. Fast im gleichen Moment jedoch musste sie schon wieder bremsen. Vor ihr war ein Hindernis auf der Straße. Ein Fahrrad lag auf der Seite. Die Räder drehten sich noch. Vom Fahrer keine Spur. Meredith lenkte an den Straßenrand und stieg aus.
Als sie sich näherte, hörte sie ein dumpfes Stöhnen aus dem Straßengraben. Sie eilte zu der Stelle und spähte hinunter in das Gewirr aus Ranken und Dornen. Der Radfahrer lag am Boden des Grabens auf allen vieren zwischen Nesseln und verrottendem Grün. Mit dem Helm und der Brille sah er aus wie ein Wesen aus dem Weltraum, das unvorhergesehen auf der Erde hatte notlanden müssen.
Als der Radfahrer das besorgte Gesicht sah, das auf ihn herabblickte, streckte er Hilfe suchend die Hand aus und ächzte: »Helfen Sie mir hoch!«
Seine Stimme klang vertraut. Meredith kletterte in den Graben und half ihm hoch. Er rappelte sich auf die Beine und blieb unsicher schwankend stehen. Sie beobachtete, wie er den Helmriemen löste und die Brille absetzte. Es war Ted Pritchard.
»Ted!«, rief Meredith erstaunt. »Was machen Sie denn hier? Was ist passiert?«
»Ein dämlicher Vogel!«, brummte Ted. »Ich war mit dem Fahrrad unterwegs, hab ein wenig frische Luft geschnappt, als er sich direkt vor mir heruntergestürzt hat. Ein Sperber, glaube ich. Er hat irgendwas im Graben erspäht und sich vor meiner Nase darauf gestürzt, wie diese Vögel das tun. Ich hab die Flügelspitze im Gesicht gespürt!«
Er klopfte sich ab, während er sprach. Seine muskulöse Gestalt steckte in hautengen Radfahrersachen aus Lycra, und trotz des Fehlens jeglichen Schutzes schien er sich nicht wehgetan zu haben. Die Landung im Straßengraben war also zumindest eine weiche gewesen. Pritchard ging zu seinem Fahrrad und untersuchte es eingehend auf Schäden.
»Was machen Sie um diese Tageszeit hier draußen?«, fragte Meredith erneut. »Sollten Sie nicht auf der Arbeit sein?«
»Ich hab Mittagspause, wissen Sie?«, verteidigte sich Ted. »Ich fahre nicht in jeder Mittagspause Rad, aber manchmal, wenn es ein schöner Tag ist wie heute, gehe ich nach Hause, hole das Rad hervor und fahre ein wenig durch die Gegend. Ansonsten krieg ich den ganzen Tag nicht viel frische Luft. Steve und ich, wir arbeiten von morgens bis abends, rund um die Uhr. Bleibt einem nichts anderes übrig, wenn man ein eigenes Geschäft hat. Niemand sonst macht die Arbeit. Ich verbringe den größten Teil des Tages in der Werkstatt und atme Sägespäne.« Er schob das Fahrrad probehalber vor und zurück. »Irgendwas ist verbogen«, murmelte er düster.
»Hören Sie, wo wohnen Sie?«, fragte Meredith. »Wir könnten Ihr Fahrrad in den Kofferraum packen und es irgendwie festbinden, dann bringe ich Sie nach Hause.«
Seine Miene hellte sich auf. »Danke, das ist nett von Ihnen. Ich weiß es zu schätzen.«
Um das Fahrrad im Kofferraum zu verstauen, mussten sie zuerst Merediths Koffer ausladen und auf dem Rücksitz deponieren. Dann mühten sie sich ab, das Fahrrad in den Kofferraum zu keilen und mit einem Stück Abschleppseil zu sichern, das Meredith immer bei sich führte.
»Es ist ein teures Fahrrad«, ächzte Ted,
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